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VERFAHRENSRECHT | Beschränkte Wiederaufnahmegründe für Steuerbescheide

Das Bundesfinanzgericht hat unlängst entschieden, dass sich die Finanzbehörde auch amtsbekannte Sachverhalte aus anderen Veranlagungszeiträumen zurechnen lassen muss. Dies führt zu einer Einschränkung der Verfahrenswiederaufnahmemöglichkeiten auf Grund des Hervorkommens neuer Tatsachen und somit zu erhöhter Rechtssicherheit für Abgabenbescheide. 

Rechtsgrundlagen

Gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO ist in der Praxis der wichtigste Verfahrenstitel, um die Rechtskraft von Bescheiden zu durchbrechen, und insbesondere bei Betriebsprüfungen werden Änderungen bereits rechtskräftiger Abgabenbescheide regelmäßig auf das Hervorkommen neuer Tatsachen und damit auf die Rechtsgrundlage des § 303 Abs. 1 lit b BAO gestützt. 

Rechtsauffassung der Finanzverwaltung

Die Finanzbehörde hat bislang, gestützt auf frühere Rechtsprechung, die Auffassung vertreten, dass sie sich ausschließlich den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres zurechnen lassen muss.

Es dürfe somit nicht vorausgesetzt werden, dass Sachverhalte, welche die Behörde aus einem Veranlagungsjahr kennt, der(selben) Behörde auch in einem anderen Veranlagungsjahr bekannt sind. 

Der Anlassfall

Über das Vermögen des Arbeitgebers des Steuerpflichtigen wurde Ende des Jahres 2007 der Konkurs eröffnet und der Steuerpflichtige erklärte im Dezember 2007 seinen Austritt, wodurch das Dienstverhältnis aufgelöst wurde.

Im darauffolgenden Jahr erhielt der Steuerpflichtige nachträglich Insolvenz-Ausfallgeld, welches somit erst im Jahr 2008 ausbezahlt wurde.

Das Finanzamt erfasste das Insolvenz-Ausfallgeld im Einkommensteuerbescheid 2007, weil es die Auffassung vertrat, dieses Einkommen wäre bereits im Jahr des Entstehens des Anspruches zu versteuern.

Der Steuerpflichtige erhob Beschwerde und argumentierte unter Vorlage von Beweismitteln, dass das Insolvenz-Ausfallgeld erst im Jahr 2008 zugeflossen sei und dieser Zufluss auch für die steuerliche Zuordnung zu einem bestimmten Veranlagungsjahr maßgebend sei. Somit sei nach Auffassung des Steuerpflichtigen das Insolvenz-Ausfallgeld auch erst im Jahr 2008 zu versteuern. 

Nach Einbringung der Beschwerde gegen das Jahr 2007 führte das Finanzamt die Arbeitnehmerveranlagung 2008 OHNE das in diesem Jahre zugeflossene Insolvenz-Ausfallgeld durch.

In weiterer Folge musste für die Beschwerde betreffend die Einkommensteuer 2007 der Instanzenzug voll ausgeschöpft werden, und der Verwaltungsgerichtshof entschied im Jahr 2013 zumindest teilweise zugunsten des Abgabepflichtigen, sodass die 2008 zugeordneten Einkünfte wiederum aus der Bemessungsgrundlage des Jahres 2007 ausgeschieden wurden.

Das Finanzamt verfügte daraufhin eine Wiederaufnahme des Verfahrens für das Jahr 2008 und erfasste die im Jahr 2007 ausgeschiedenen Einkommensteile nunmehr im Jahr 2008. 

Entscheidung des Bundesfinanzgerichts (BFG 29.03.2017, RV/6100881/2014) 

Die Vorgangsweise des Finanzamtes war laut Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts unzulässig, zumal es keine neu hervorgekommenen Tatsachen gegeben habe und damit die Voraussetzungen für eine Verfahrenswiederaufnahme zur Änderung des Erstbescheides 2008 nicht vorlagen.

Im Ergebnis blieben somit die im Jahr 2007 nachträglich ausgeschiedenen Einkommensteile somit unversteuert! 

Tipps für die Praxis

Die vollständige Offenlegung eines Sachverhaltes gegenüber dem Finanzamt (etwa im Wege einer entsprechenden Beilage zur Steuererklärung) kann dazu beitragen, dass einmal erlassene und in Rechtskraft erwachsene Abgabenbescheide später nicht wieder abgeändert werden können (soferne nicht – etwa im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung – andere Wiederaufnahmegründe gefunden werden).

Eine unzutreffende rechtliche Würdigung oder auch eine neue Rechtsprechung sind hingegen keine neuen Tatsachen, sodass darauf eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO nicht gestützt werden kann. 

Für weitergehende Fragen stehen Ihnen der Verfasser sowie auch die übrigen Berater des ICON-Teams gerne zur Verfügung!