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UMSATZSTEUER | Auszahlung von Vorsteuerguthaben in Prüfungsfällen?

Liquidität ist für Unternehmen von besonderer Bedeutung und kann insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie diesen über Fortbestand oder Untergang bzw Insolvenz eines Unternehmens entscheiden. Dabei spielen auch Steuerguthaben eine wesentliche Rolle. Werden etwa hohe Vorsteuerbeträge – zumal aufgrund einer anhängigen Steuerprüfung – seitens der Finanzverwaltung über längere Zeit blockiert, kann dies dem betroffenen Unternehmen erheblichen Schaden zufügen. Dass die vorübergehende Zurückbehaltung des gesamten Vorsteuervolumens während einer laufenden Prüfung jedoch nicht generell zulässig ist, hat nunmehr auch der Europäische Gerichtshof klargestellt. Im nachfolgenden Beitrag erläutern wir die Kernaussagen dieses EuGH-Urteils und geben Ihnen Hinweise, was zur zeitnahen Rückholung von Vorsteuerguthaben in Prüfungsfällen zu beachten ist.

Aufgrund der Bedeutung von Steuern für die Unternehmensliquidität gewährt Österreich – wie andere Länder auch – den krisengebeutelten Unternehmen im Rahmen der COVID-19-Sonderregelungen verschiedene Zahlungserleichterungen im Abgabenbereich (Stundungen, Ratenzahlungen) und hat zudem auch eine rasche und ungekürzte Rückzahlung von Steuerguthaben erleichtert. Über die diesbezüglichen erlassmäßigen und gesetzlichen Erleichterungen haben wir Sie im Rahmen unseres Newsletters bereits mehrfach informiert (vgl zur ungekürzten Auszahlung von UVA-Guthaben trotz anderer Abgabenrückstände gemäß § 323c Abs 6 BAO idF 18. COVID-19-Gesetz insbesondere unseren NL-Beitrag „CORONAVIRUS | Weitere steuerliche Gesetzesänderungen“ vom 2.5.2020). 

Demgegenüber stehen den Finanzverwaltungen in den verschiedenen Ländern – im regulären Rechtsbereich - verschiedene verfahrensrechtliche Instrumentarien zur Verfügung, um das Steueraufkommen zu sichern, wobei die Rechtmäßigkeit deklarierter Steuerguthaben zunächst auch einer Prüfung (zB Außenprüfung, UVA-Nachschau, USt-Sonderprüfung) unterzogen werden kann, bevor das Guthaben aus- bzw rückgezahlt wird (in Österreich finden sich die diesbezüglichen Regelungen in der Bundesabgabenordnung, insb. §§ 143 ff BAO betr. Prüfungshandlungen und §§ 211 ff BAO zur Abgabeneinhebung bzw §§ 239 ff BAO zur Rückzahlung von Steuerguthaben). 

Mit der grundsätzlichen Frage, inwieweit die Zurückbehaltung von Vorsteuerguthaben während einer anhängigen Prüfung mit dem Grundsatz der Steuerneutralität im EU-Mehrwertsteuersystem vereinbar ist, hat sich kürzlich der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu einem tschechischen Steuerfall auseinandergesetzt:

Zurückbehaltung des gesamten Vorsteuervolumens aufgrund einer Steuerprüfung? 

Wird ein Unternehmen zum Objekt einer Steuerprüfung, so versucht die Finanzbehörde häufig, anstehende Vorsteuerguthaben möglichst lange nicht zur Auszahlung an das grundsätzlich anspruchsberechtigte Unternehmen freizugeben. Dies ist verständlich, wenn die Richtigkeit bzw Vollständigkeit der gemeldeten Informationen angezweifelt wird und die übermittelten Unterlagen vor einer Guthabensauszahlung daher im Detail geprüft werden sollen. 

Dennoch ist auch in solchen Fällen zu hinterfragen, ob es aufgrund des konkreten Prüfungsumfangs tatsächlich erforderlich bzw korrekt ist, das gesamte aufgelaufene Vorsteuervolumen zurückzubehalten. Wird etwa nur ein Teil der vorsteuerrelevanten Umsätze bzw Eingangsleistungen angezweifelt, so könnte man meinen, dass es keinen Grund gäbe, den „unstrittigenTeil des Vorsteuerguthabens nicht unverzüglich an den Unternehmer auszubezahlen. Eine derartige differenzierte Vorgangsweise klingt zwar sachgerecht bzw plausibel, ist jedoch in der Praxis nicht immer durchsetzbar.

Zurückbehaltung der Vorsteuern zulässig, wenn eine Zahllast zu erwarten ist 

Der Europäische Gerichtshof hat in einer aktuellen Vorabentscheidung im Rechtsstreit des tschechischen Unternehmens Agrobet CZ s.r.o. mit der lokalen Finanzverwaltung (EuGH-Urteil vom 14.5.2020, Rs Agrobet, C-446/18) klargestellt, dass die Finanzbehörde befugt ist, das gesamte Vorsteuervolumen zurückzubehalten, wenn zu befürchten ist, dass sich aufgrund der Prüfung schlussendlich eine Zahllast ergibt, welche das gesamte Vorsteuervolumen aufbraucht bzw überkompensiert.

Konkret hat der Europäische Gerichtshof folgenden zusammenfassenden Urteilsspruch formuliert:

„Die Art. 179, 183 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die für die Steuerbehörde nicht die Möglichkeit vorsieht, vor Abschluss eines Steuerprüfungsverfahrens betreffend eine Mehrwertsteuererklärung, in der für einen bestimmten Steuerzeitraum ein Vorsteuerüberschuss ausgewiesen ist, die Erstattung des Teils dieses Überschusses zu bewilligen, der sich auf Umsätze bezieht, die von diesem Verfahren zum Zeitpunkt seiner Einleitung nicht erfasst sind, es sei denn, es ist möglich, eindeutig, genau und unmissverständlich festzustellen, dass ein Vorsteuerüberschuss, dessen Betrag möglicherweise geringer sein kann als der, der sich auf von diesem Verfahren nicht erfasste Umsätze bezieht, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens übrig bleibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.“ 

Abgrenzung des konkreten Prüfungsumfangs 

Eine Steuerprüfung wird häufig dann eingeleitet, wenn Zweifel an der Richtigkeit der eingereichten Erklärungen bestehen. Die Finanzbehörde ist idR auch befugt, während einer laufenden Prüfung deren Umfang zu erweitern oder auch einzuschränken (und zwar sowohl in zeitlicher wie auch in sachlicher Hinsicht). Damit die Auszahlung eines Teils des Vorsteuerguthabens während einer laufenden Prüfung überhaupt möglich ist, ist es erforderlich, dass die Finanzbehörde diesen Teil als unstrittig anerkennt. 

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass seitens der Finanzbehörde diese Abgrenzung aktiv vorzunehmen ist. Der Umstand, dass im Zuge einer Prüfung faktisch nur bestimmte Rechtsgeschäfte bzw Geschäftsvorfälle untersucht werden, ist nicht ausreichend. Vielmehr muss eine Äußerung der Finanzbehörde vorliegen, dass gewisse (also näher zu bestimmende) Umsätze von der Steuerprüfung ausgenommen sind, da diese nicht angezweifelt werden. In der Praxis wird eine derartige verbindliche Stellungnahme der Finanzbehörde jedoch nicht allzuoft zu erwarten sein, zumal es aus Sicht der Finanzbehörde verständlich ist, sich die Prüfung aller Umsätze zumindest vorzubehalten. 

Wie kann die Auszahlung unstrittiger Vorsteuerguthaben durchgesetzt werden? 

Dennoch kann der Finanzbehörde in Bezug auf bestimmte Umsätze entgegengehalten werden, dass das Unterlassen einer Einschränkung des Prüfungsumfangs überschießend wäre. Dies insbesondere in Bezug auf jene Eingangsumsätze, die laufend gemeldet werden und seitens der Finanzbehörde entweder bislang anstandslos ausbezahlt wurden oder auch Vorsteuerbeträge iZm bereits geprüften Umsätzen, die als korrekt festgestellt und in der Folge ausbezahlt wurden. 

Ein plakatives Beispiel hierfür sind Hotelrechnungen. Wenn Mitarbeiter eines Unternehmens aufgrund von Dienstreisen in einem Hotel übernachten, gibt es idR keinen Grund, die daraus resultierenden Vorsteuerbeträge nicht anzuerkennen. Dies freilich unter der Voraussetzung, dass diese Rechnungen formal korrekt ausgestellt wurden. 

Auch wenn in einzelnen EU-Mitgliedstaaten keine einschlägigen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, auf deren Grundlage die (zeitnahe) Auszahlung unstrittiger Vorsteuerguthaben beantragt werden könnte, kann sich der Rechtsunterworfene künftig zumindest auf das obige EuGH-Urteil berufen.

FAZIT

Wenngleich die Grundaussage des obzitierten EuGH-Urteils positiv ist, so dürfte die praktische Umsetzbarkeit bei der Rückholung von Vorsteuerguthaben in verschiedenen Ländern dennoch zweifelhaft sein. Betroffene Unternehmer sollten sich daher von dieser Vorabentscheidung zu einem tschechischen Steuerfall nicht allzuviel erwarten. Zumindest aber wurde klargestellt, dass Vorsteuerbeträge aus Eingangsumsätzen, die bisherigen Überprüfungen der Finanzbehörde bereits standgehalten hatten, grundsätzlich auszubezahlen sind, sofern aufgrund einer laufenden Prüfung keine Zahllast zu erwarten ist, die das Vorsteuerguthaben zur Gänze aufbraucht bzw überkompensiert. 

In der aktuellen COVID-19-Pandemie werden zudem auch allfällige Sonderregelungen bzw Erleichterungen für die steuerliche Gestionierung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu beachten sein. 

Sollten Sie Fragen haben oder Unterstützung bei der Rückholung von Steuerguthaben benötigen, stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen Experten der Service Line "Indirect Tax & Customs​​​​​​​" gerne zur Verfügung.