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UMSATZSTEUER | Vorsteuervergütung bei vorübergehender Inaktivität

Die Wahl des richtigen Verfahrens zur Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen scheint auf den ersten Blick relativ simpel. Insbesondere im Zusammenhang mit einer vorübergehenden betrieblichen Inaktivität ist jedoch darauf zu achten, dass angefallene Vorsteuern im dafür vorgesehenen Besteuerungsverfahren beantragt werden. Eine generelle bzw undifferenzierte Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen im Rahmen der Veranlagung, nach erfolgter umsatzsteuerlicher Registrierung, kann nämlich uU zum Verfall von Vorsteuern führen. Diese Problematik war kürzlich auch Thema vor dem Europäischen Gerichtshof. 

Im nachfolgenden Beitrag möchten wir – ausgehend von einem aktuellen EuGH-Urteil – wieder einmal auf die häufig unterschätzten Risiken in Zusammenhang mit der Wahl des richtigen Umsatzsteuerverfahrens hinweisen:

Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof

Sachverhalt 

„Gamesa“, ein rumänischer Unternehmer, der Windparks verkauft, wurde als sog. „inaktiverSteuerpflichtiger erklärt. Während der fraglichen Periode wurden nur innergemeinschaftliche Erwerbe getätigt. Im Zuge der Reaktivierung der UID-Nummer wollte Gamesa die Erwerbsteuer als Vorsteuer geltend machen. Die rumänische Finanzbehörde versagte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass Umsätze während der Inaktivität nicht beachtlich seien. 

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 12.9.2018, Rs Gamesa, C-69/17)

Nach dem Urteil des EuGH besteht hingegen sehr wohl eine diesbezügliche Vorsteuerabzugsberechtigung, zumal faktisch alle Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt wurden. Eine vorübergehende unternehmerische Inaktivität ist daher nicht schädlich.

Der EuGH entschied in diesem Urteil somit klar im Sinne der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie. Die Rückholung der Vorsteuerbeträge im Rahmen der Veranlagung ist auch bei vorübergehender unternehmerischer Inaktivität unproblematisch, sofern in diesem Zeitraum innergemeinschaftliche Erwerbe getätigt wurden. In anderen Konstellationen besteht hingegen ein latentes Risiko, Vorsteuern nicht mehr zurückzubekommen. Insbesondere dann, wenn keine steuerpflichtigen Ausgangsumsätze bewirkt, jedoch Eingangsrechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer im Rahmen der Veranlagung geltend gemacht werden.

Wahl des richtigen Verfahrens 

Innerhalb der Europäischen Union (EU) kann die Vergütung von Vorsteuern entweder im Wege der Veranlagung, also über die laufende Steuererklärung, oder im Rahmen des gesonderten Vorsteuererstattungsverfahrens beantragt werden. 

Das Vorsteuererstattungsverfahren ist grundsätzlich dann zwingend anzuwenden, wenn der Unternehmer nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, wo die Vorsteuerbeträge bewirkt werden.

Darüber hinaus ist das Vorsteuererstattungsverfahren nur anwendbar, wenn im Erstattungszeitraum keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht werden, die im Mitgliedstaat der Erstattung als bewirkt gelten. Davon ausgenommen sind 

  • Beförderungsleistungen und damit verbundene Nebentätigkeiten, die gemäß der RL 2006/112/EG steuerfrei sind,
  • Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die dem Reverse Charge-Verfahren unterliegen. 

Der Antrag auf Vorsteuererstattung für ein Jahr muss bis spätestens 30. September des Folgejahres im Ansässigkeitsstaat gestellt werden. Siehe dazu bereits unseren NL-Beitrag „VORSTEUERERSTATTUNG | Versäumen Sie die Fristen nicht (30.6./30.9.2018)!“ vom 13.6.2018). Weiterführende Informationen zum Vorsteuererstattungsverfahren in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten können Sie in unserem Buch „Leitfaden Vorsteuererstattung“ nachlesen. 

Risikopotenziale in der unternehmerischen Praxis 

Um eine Deregistrierung sowie eine erneute umsatzsteuerliche Registrierung zu vermeiden, werden während einer vorübergehenden Inaktivität mitunter laufende Nullmeldungen eingereicht. Etwaige Vorsteuerbeträge werden auf diese Weise im Rahmen des Veranlagungsverfahrens geltend gemacht. 

Diese „bequeme“ Vorgehensweise bzw „Praktikermethode“ birgt jedoch das Risiko in sich, dass der Vorsteuerabzug im „falschenVerfahren geltend gemacht wird, sofern nicht überhaupt eine amtswegige Löschung des Umsatzsteuersignals erfolgt ist. Bei Erfüllung der oben genannten Kriterien ist die Vorsteuer nämlich im Wege des Vorsteuererstattungsverfahrens geltend zu machen. Zur Veranschaulichung sollen die folgenden Beispiele dienen: 

Beispiel 1 

  • Sachverhalt: Unternehmer A wurde mit der Errichtung einer Papiermaschine in Tschechien beauftragt. Der Auftrag wurde im Dezember 2017 fertiggestellt und mit Umsatzsteuer fakturiert. Im Februar 2018 schult ein Mitarbeiter von A das Personal auf der Maschine ein. Von den Kosten für die Übernachtungen werden die daraus resultierenden Vorsteuern geltend gemacht. Die Schulung war im Pauschalpreis für die Papiermaschine inbegriffen. Im Jahr 2018 wurden in Tschechien keine Umsätze mehr mit Umsatzsteuer fakturiert. Das Umsatzsteuersignal wurde jedoch (noch) nicht gelöscht.  

  • Lösung: Unternehmer A muss die Vorsteuer aus der Hotelrechnung im Rahmen des Vorsteuererstattungsverfahrens geltend machen, da im Jahr 2018 keine Ausgangsumsätze erzielt wurden. Wird hingegen der Veranlagungsweg gewählt, besteht die Gefahr der Abweisung aufgrund des falschen Verfahrens.  

Beispiel 2 

  • Sachverhalt: Unternehmer A wurde mit der Errichtung einer Abfüllanlage in Ungarn beauftragt. Der Auftrag wurde 2017 schlussgerechnet. Zur Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen werden 2018 Ersatzteile in Ungarn und aus anderen Mitgliedstaaten zugekauft und in ein Lager des A in Ungarn geliefert. Die Reparatur der Anlage ist nicht steuerbar. Im Jahr 2018 wurden daher ausgangsseitig keine Umsätze mehr mit Umsatzsteuer fakturiert.

  • Lösung: Unternehmer A hat die Vorsteuer im Rahmen der Veranlagung geltend zu machen. Wären die Zukäufe ausschließlich in Ungarn getätigt worden, wäre die Vorsteuer hingegen im Rahmen des Erstattungsverfahrens zu beantragen. 

Verfall von Vorsteuerbeträgen 

ACHTUNG: Sollte die jeweilige Finanzbehörde eines EU-Mitgliedstaates erst nach dem 30. September des Folgejahres über die Rechtmäßigkeit der Veranlagung von Vorsteuerbeträgen entscheiden bzw diese ablehnen, so wäre aufgrund der maßgeblichen Fallfrist eine nachträgliche Geltendmachung der Vorsteuerbeträge im Erstattungsverfahren grundsätzlich nicht mehr möglich!

Fazit 

Da in der Europäischen Union zwei verschiedene Verfahren für die Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen vorgesehen sind, für die jeweils bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen sind, sollte die korrekte Vorgangsweise für die Rückholung von Vorsteuern im richtigen Verfahren, unter Beachtung der konkreten Sachverhalte und Steuertatbestände, sorgfältig geplant werden. 

Für weitere Fragen zu dieser Thematik stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen Expertinnen des ICON-Umsatzsteuerteams gerne zur Verfügung.