NEWS  |   |  

BILANZSTEUERRECHT | Verfassungswidrige Abzinsung von Rückstellungen?

Heidrich Gerhard  |  Kohut Christian

Im Rahmen der geltenden steuerlichen Vorschriften sind Pensions- und Jubiläumsgeldrückstellungen mit 6 % abzuzinsen, während für andere langfristige Rückstellungen ein Abzinsungszinssatz von 3,5 % zur Anwendung kommt. Abgesehen von der grundsätzlichen Problematik der in Niedrigzinszeiten relativ hoch erscheinenden steuerlichen Abzinsungsfaktoren, stellt sich insbesondere auch die Frage einer eventuellen Gleichheitswidrigkeit, wenn Abzinsungsregelungen innerhalb der langfristigen Rückstellungen unterschiedliche Zinssätze vorsehen. Zu diesem Themenkomplex stellte das Bundesgericht bereits Anträge an den Verfassungsgerichtshof, die fraglichen Gesetzesstellen in §§ 9 und 14 EStG als verfassungswidrig aufzuheben.

In der Bilanzierungspraxis stellen die langfristigen Rückstellungen, insb. die sog. „Sozialkapitalrückstellungen“ (für Abfertigungen, Pensionen und Jubiläumsgelder) eine besondere Herausforderung dar, zumal teils erhebliche Unterschiede bei der Berechnung im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss (gemäß § 211 UGB; vgl dazu auch unsere div. NL-Beiträge, zuletzt „BILANZIERUNG | Praxistipps zum Jahresende“ vom 19.12.2019) gegenüber der „Steuerbilanz“ (gemäß §§ 9 und 14 EStG; vgl dazu auch unseren NL-Beitrag „UNTERNEHMENSBESTEUERUNG | Tipps zum Jahresende“ vom 26.11.2019) zu beachten sind. Insbesondere resultieren aus den maßgeblichen Vorschriften auch unterschiedliche Abzinsungen für einzelne Rückstellungsarten.

Abzinsung langfristiger Rückstellungen im Steuerrecht

Nach der Grundregel des § 9 Abs 1 EStG können Rückstellungen mit steuerlicher Wirkung nur gebildet werden für

  • Anwartschaften auf Abfertigungen,
  • laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen,
  • sonstige ungewisse Verbindlichkeiten, wenn die Rückstellungen nicht Abfertigungen, Pensionen oder Jubiläumsgelder betreffen sowie
  • drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. 

Für die Bildung von Abfertigungs-, Pensions- und Jubiläumsgeldrückstellungen sind die steuerrechtlichen Sondernormen in § 14 EStG zu beachten. 

Mit dem Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl I Nr. 142/2000, wurde für langfristige Rückstellungen (deren Laufzeit am Bilanzstichtag mehr als zwölf Monate beträgt) ein pauschaler Rückstellungsansatz von 80 % des Teilwertes eingeführt. Der pauschale Abschlag sollte einer vereinfachten Abzinsung entsprechen. 

Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014, BGBl I Nr. 13/2014, ging der Gesetzgeber von diesem Pauschalansatz ab. Seit 1.7.2014 sind langfristige Rückstellungen mit dem abgezinsten Teilwert, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Laufzeit sowie eines Rechnungszinssatzes von 3,5 %, anzusetzen (Abzinsung gemäß § 9 Abs 5 EStG; siehe dazu auch unseren szt NL-Beitrag „BILANZSTEUERRECHT | Langfristige Rückstellungen ab 1.7.2014“ vom 17.12.2014). Mit diesem Zinssatz wich der Gesetzgeber allerdings von jenem für die langfristigen Personalrückstellungen gemäß § 14 EStG ab, wonach - unverändert – ein Rechnungszinsfuß von 6 % zugrunde zu legen ist. 

Verfassungsrechtliche Bedenken

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hatte sich im Rahmen einer anhängigen Beschwerde mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und äußerte im Beschluss vom 13. Jänner 2020 (RN/7100001/2019 und RN/7100003/2019) betreffend Anträge an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) zur Normenprüfung seine Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität der unterschiedlichen Abzinsungsfaktoren von 3,5 % für die Bildung von langfristigen Rückstellungen gemäß § 9 Abs. 1 Z 3 und 4 EStG gegenüber 6 % für die Bildung von Jubiläumsgeldrückstellungen gemäß § 14 Abs 12 EStG (Letzteres durch Verweis auf die steuerlichen Regelungen für Pensionsrückstellungen, wofür gemäß § 14 Abs 6 Z 6 EStG ein Rechnungszinsfuß von 6 % zugrunde zu legen ist). 

Wie das BFG in seinen Anträgen an das Höchstgericht ausführt, verbietet das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot dem Gesetzgeber, Gleiches ungleich bzw Ungleiches gleich zu behandeln, soferne eine Ungleichbehandlung nicht sachlich gerechtfertigt ist. 

Während das BFG insbesondere zwischen Pensionsrückstellungen und Jubiläumsgeldrückstellungen entsprechende unterschiedliche Zielsetzungen sieht, vermag es eine Unterscheidung von langfristigen Rückstellungen für (sonstige) ungewisse Verbindlichkeiten und Jubiläumsgelder NICHT zu erkennen. Das BFG verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das VfGH-Erkenntnis vom 9. Dezember 1997, G 403/97, wonach das Höchstgericht hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Rückstellungen für Jubiläumsgelder keine sachliche Rechtfertigung für das Abweichen von den Grundsätzen des § 9 EStG sah. 

FAZIT

Mit den oa Beschlüssen vom 13.1.2020 beantragte das BFG beim VfGH die Aufhebung einer Reihe von Bestimmungen der §§ 9 und 14 EStG. Folgt das Höchstgericht diesen Anträgen, so könnte dies zur Folge haben, dass der steuerlichen Bildung von Jubiläumsgeldrückstellungen künftig ebenfalls ein Rechnungszinsfuß von 3,5 % (anstatt der bisherigen 6 %) zugrunde zu legen wäre. 

Mit weiteren Beschlüssen vom 25.3.2020 (RN/7100001/2020 und RN/7100002/2020) stellte das BFG bereits weitere Normprüfungsanträge an den VfGH im Zusammenhang mit den Abzinsungssätzen bei langfristigen Rückstellungen. Im Rahmen dieser Beschlüsse äußert das BFG auch hinsichtlich des Zinssatzes für Pensionsrückstellungen gleichheitswidrige Bedenken. 

Es bleibt abzuwarten, ob bzw inwieweit der Verfassungsgerichtshof den verschiedenen Anträgen des Bundesfinanzgerichts folgt und die betroffenen Gesetzesstellen als verfassungswidrig aufhebt, sodass dem Gesetzgeber eine entsprechende Reparatur der aufgehobenen Gesetzesnormen zukäme. 

Für weitere Fragen stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen ExpertInnen der Service Lines "Corporate Tax" und "Audit​​​​​​​" gerne zur Verfügung!