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RUSSLAND | Steueragentenverfahren in der Umsatzsteuerpraxis

Das dem umsatzsteuerlichen „Reverse Charge“ westlicher Prägung vergleichbare „Steueragentenverfahren“ in Russland hat auch für österreichische Unternehmen große Bedeutung, zumal bei Anwendbarkeit dieses Verfahrens eine Registrierung in Russland vermieden werden kann. Aber auch im Falle einer bereits bestehenden lokalen Registrierung werden in der Praxis sog. „Offshore-Leistungen“ (zB Engineering-Leistungen des Stammhauses) häufig nach diesem Vereinfachungsverfahren abgerechnet. Nachfolgend möchten wir die Wirkungsweise des Steueragentenverfahrens sowie deren Konsequenzen anhand eines Praxisbeispiels mit dem Fokus auf Offshore-Leistungen erläutern.

Sachverhalt (Fallbeispiel)

Ein österreichischer Auftragnehmer (A) wird von einem russischen Auftraggeber (R) mit einer Anlagenerrichtung in Russland beauftragt. Der Auftrag stellt eine sog. Werklieferung dar und umfasst:

  • das Engineering im österreichischen Stammhaus (sog. „Offshore-Leistung“),
  • die Lieferung der Güter von Österreich nach Russland sowie
  • die Montage vor Ort (sog. „Onshore-Leistung“).

Für diese drei Liefer- und Leistungsteile liegen getrennte Verträge vor. A hatte mit einem vorangegangenen Auftrag bereits eine steuerliche „Betriebsstätte“ begründet und ist daher in Russland schon steuerlich registriert. Der Liefervertrag enthält die Lieferklausel „DAP“ („Delivered at Place“), wonach der Auftraggeber die Güter in Russland importiert.

Hinweis: Die nachfolgend zu erörternde Thematik der umsatzsteuerlichen Registrierung in Zusammenhang mit dem „Steueragentenverfahren“ hatten wir auch bereits in unserem NL-Beitrag „RUSSLAND | USt-Registrierungspflicht für IT-Leistungen seit 1.1.2019!“ vom 11.6.2019 angesprochen.

Rechtsgrundlagen

Das sog. „Steueragentenverfahren“ ist in Art. 161 des russischen Steuerkodex geregelt und grundsätzlich an folgende Voraussetzungen gebunden:

  • Es liegt eine in Russland umsatzsteuerbare und steuerpflichtige Leistung vor,
  • der Leistende ist in Russland steuerlich NICHT registriert,
  • der Empfänger der Leistung ist in Russland steuerlich registriert.

Das Steueragentenverfahren ist dem Reverse Charge-Verfahren westlicher Prägung (EU) vergleichbar, allerdings geht die Steuerschuld nicht auf den Empfänger über, sondern der Leistende bleibt selbst Steuerschuldner. Vielmehr führt der Leistungsempfänger alsSteueragent“ die geschuldete russische Umsatzsteuer im Namen des ausländischen Steuerschuldners ab. Es ist daher jedenfalls zu empfehlen, dass sich der Auftragnehmer vom Steueragenten einen Nachweis geben lässt, dass die russische Steuerschuld ordnungsgemäß entrichtet wurde. Überdies unterscheidet sich das Steueragentenverfahren vom Reverse Charge dadurch, dass die russische Umsatzsteuer auf der Rechnung auszuweisen ist. Es werden also in Summe 120% fakturiert, wobei darauf zu achten ist, dass in der Rechnung ein Hinweis auf das Steueragentenverfahren aufscheint. Die Anwendung des Steueragentenverfahrens erfordert eine entsprechende Mitwirkung des Steueragenten. Es ist daher unerlässlich, bereits im Vorfeld (idealerweise schon im Vertrag) die generelle Anwendbarkeit des Verfahrens abzuklären bzw vertraglich zu regeln und sich zudem über das konkrete Aussehen der Rechnung zu einigen.

Überdies ist zu berücksichtigen, dass ein ausländisches Unternehmen in Russland grundsätzlich NICHT importieren kann.

Umsatzsteuerliche Konsequenzen

Aus österreichischer Sicht liegt eine Werklieferung in ein Drittland vor, die in Österreich nicht umsatzsteuerbar ist. Nach dem russischen Steuerkodex unterliegen der Import der Güter, das Offshore-Engineering und die Montage der russischen Umsatzsteuer, da der Leistungsort in Russland gelegen ist.

Die Liefer- und Leistungsteile sind von A getrennt an R zu fakturieren:

  • Die Güter werden vom Auftraggeber R importiert. Dieser bezahlt in Russland die Einfuhrumsatzsteuer (mit Vorsteuerabzug) sowie die Zollgebühren (sofern keine Befreiung anwendbar ist).
  • Die Montage wird aufgrund der bestehenden steuerlichen Registrierung in Russland zzgl 20% russischer Umsatzsteuer fakturiert.
  • Kritisch ist hingegen das Offshore-Engineering zu sehen: Dieses wird trotz bestehender Registrierung von A in Russland im Steueragentenverfahren fakturiert. Begründet wird dies damit, dass die Offshore-Leistung nicht der registrierten russischen Betriebsstätte zuzurechnen ist, sondern vom Stammhaus in Österreich erbracht wird.

Ob dieser Auftrag auch eine Bau- oder Montagebetriebsstätte aus ertragsteuerlicher Sicht (nach dem DBA mit Russland) begründet, soll hier dahingestellt bleiben. Wird nur die Montage mit russischer Umsatzsteuer fakturiert, so hat dies generell den Vorteil, dass die übrigen, der Betriebsstätte funktional nicht zurechenbaren Teile von vornherein NICHT in die russische Buchhaltung und Ergebnisermittlung der Betriebsstätte eingehen. Damit verbleibt der Engineeringgewinn ohne diesbezügliche Diskussionen dort, wo er sachgerechterweise hingehört, nämlich im Stammhaus

Offshore-Leistungen

Offshore-Engineering ist, übereinstimmend nach dem österreichischen UStG und dem russischen Steuerkodex, am Empfängerort umsatzsteuerbar und auch steuerpflichtig. Das im Stammhaus erbrachte Engineering unterliegt daher der Umsatzsteuer in Russland. In weiterer Folge ist aber zu prüfen, welcher der beiden Transaktionspartner die russische Umsatzsteuer abzuführen hat: Entweder der ausländische Auftragnehmer durch Legung einer russischen Umsatzsteuerrechnung oder aber der russische Auftraggeber im Steueragentenverfahren.

Nach dem Gesetzeswortlaut würde die bestehende Registrierung von A in Russland das Steueragentenverfahren grundsätzlich ausschließen. Obwohl sohin nicht exakt gesetzeskonform, werden in der Praxis jedoch Leistungen, bei deren Leistungserbringung die russische registrierte Präsenz nicht eingebunden ist, dennoch nach dem Steueragentenverfahren abgerechnet. Diese langjährige Praxis wurde bislang auch von den russischen Steuerbehörden toleriert und akzeptiert.

Aufgrund der jüngeren Rechtsprechung (Decision of the Constitutional Court of the Russian Federation # 2518-O vom 24.11.2016) und mehrerer Schreiben des russischen Finanzministeriums (Clarification of the Russian Ministry of Finance # 03-07-08/55205 vom 26.06.2020; # 03-02-08/103407 vom 30.12.2019; # 03-07-08/51296 vom 11.7.2019) kam nunmehr Bewegung in die Sache. Es wurde dargelegt, dass für die Anwendung des Steueragentenverfahrens nur entscheidend ist, ob – entsprechend dem Gesetzeswortlaut – eine Registrierung des Leistenden vorliegt oder nicht. Unmaßgeblich sei hingegen, ob eine bestehende registrierte Präsenz in die Leistungserbringung involviert ist oder nicht.

Es stellt sich daher nun die Frage, ob in dieser jüngeren Rechtsprechung sowie den Auskünften des russischen Finanzministeriums ein genereller Richtungswechsel zu erblicken ist. Es liegt uns dazu die Auskunft eines russischen Beraters vor, wonach in der Praxis auch bei Bestehen einer russischen Registrierung - trotz der jüngsten Entwicklungen - das Steueragentenverfahren für Offshore-Leistungen nicht generell denkunmöglich ist. Dahinter steht folgende Überlegung:

  • Die jüngere Rechtsprechung und die Auskünfte des russischen Finanzministeriums werden nicht als genereller Richtungswechsel interpretiert.
  • Maßgeblich für die russische Finanz ist, dass die russische Umsatzsteuer tatsächlich bezahlt wird. Es sind aus der Vergangenheit keine Fälle bekannt, in denen trotz erfolgter Abfuhr der russischen Umsatzsteuer diese – wegen rechtswidriger Anwendung des Steueragentenverfahrens – vom ausländischen Steuerschuldner (nochmals) gefordert worden wäre.

FAZIT

Die umsatzsteuerliche Abwicklung im Wege des (vereinfachenden, eine Ähnlichkeit mit dem EU-Reverse Charge aufweisenden) Steueragentenverfahrens stellt eine langjährige Praxislösung dar, wohingegen der russische Steuerkodex ab 30 Tagen physischer Präsenz in Russland eine Registrierung vorschreibt. Diese Vorgangsweise bzw Ungereimtheit ist insbesondere auch für „Offshore-Leistungen“ ausländischer Auftragnehmer, die in Russland registriert sind, von Bedeutung.

Bei Anwendung des Steueragentenverfahrens auf Offshore-Leistungen (zB Engineering) trotz Bestehens einer registrierten Präsenz (zB Betriebsstätte) in Russland ist daher besondere Vorsicht geboten. Aufgrund der jüngeren Rechtsprechung und mehrerer Äußerungen seitens des russischen Finanzministeriums ist der Spielraum für die bisher gelebte Praxis, diese Leistungen auch umsatzsteuerlich dem nicht registrierten ausländischen Stammhaus zuzurechnen, deutlich enger geworden. Bei derartigen Fallkonstellationen sollte zumindest unzweifelhaft nachweisbar sein, dass seitens des als Steueragent fungierenden russischen Auftraggebers die russische Umsatzsteuer tatsächlich abgeführt wurde. Die Anwendung des Steueragentenverfahrens erfordert ganz allgemein eine enge Abstimmung bzw vertragliche Regelung mit dem Steueragenten, ganz besonders aber in Zusammenhang mit dem Offshore-Engineering im Falle einer bereits bestehenden Registrierung des Leistenden in Russland.

Zur Projektbesteuerung in Russland ist in nächster Zeit auch ein Webinar geplant. Hinsichtlich der näheren Details und Termine zu diesen und ähnlichen Themen dürfen wir Sie auf unseren Veranstaltungskalender verweisen.

Gerne stehen wir für weitergehende Fragen zur Verfügung und unterstützen Sie bei der steuerlichen Gestionierung Ihrer Russlandengagements. Wenden Sie sich bei Bedarf einfach an die Verfasser oder die übrigen ExpertInnen unserer Service Line International Tax​​​​​​​.