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EUROPÄISCHE UNION | VORSTEUERBERICHTIGUNG auch nach Steuerprüfung!

Das Recht des steuerpflichtigen Unternehmers, die entrichtete Mehrwertsteuer um die Vorsteuern zu kürzen, stellt einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen EU-Mehrwertsteuersystems dar. In einem aktuellen Urteil des EuGH wurden der Finanzbehörde eines Mitgliedstaates (Rumänien) abermals die bei der innerstaatlichen Umsetzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu beachtenden Grenzen aufgezeigt. 

Anläßlich der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) möchten wir Ihnen in diesem Beitrag zunächst einen kurzen Überblick über die zugrunde liegende Rechtslage geben und sodann resümieren, inwieweit daraus für die Praxis tatsächlich künftige Erleichterungen zu erwarten sind:

Ausgangslage und aktuelle Rechtsprechung 

Sachverhalt 

Das rumänische Unternehmen „Zabrus Siret SRL“ wollte im Rahmen einer Umsatzsteuererklärung nachträglich Vorsteuerbeträge innerhalb des gesetzlichen (innerstaatlichen) Verjährungszeitraums geltend machen, welche sich auf einen Zeitraum bezogen, der bereits Gegenstand einer abgeschlossenen Steuerprüfung war. Seitens der rumänischen Generaldirektion wurde die Berichtigung der Erklärungen abgelehnt. Grundsätzlich ist die Berichtigung von Umsatzsteuererklärungen wegen Flüchtigkeitsfehlern innerhalb einer fünfjährigen Frist möglich. Dies gilt jedoch nach rumänischem Recht nicht für Umsätze, die Zeiträume betreffen, welche bereits Gegenstand einer Steuerprüfung waren. Eine neuerliche Steuerprüfung ist nur im Falle von neuen Tatsachen möglich, wobei die Einleitung der erneuten Steuerprüfung nur von Amts wegen erfolgen kann.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH 26.4.2018, Rs Zabrus Siret, C-81/17)

Der EuGH konstatierte in seinem Urteil die Unvereinbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des rumänischen Rechts mit den Grundsätzen der Europäischen Union in Bezug auf das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. 

Das Recht auf Vorsteuerabzug stellt einen fundamentalen Grundsatz dar und darf daher grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Allerdings ist insbesondere in Hinblick auf die gebotene Rechtssicherheit keine unbefristete Geltendmachung des Vorsteuerabzugs möglich. 

Die Ablehnung der Berichtigung von Umsatzsteuererklärungen nur aus dem Grund, dass die betroffene Periode bereits einer abgeschlossenen Steuerprüfung unterzogen worden war, ist jedoch unverhältnismäßig. Außerdem benachteiligt die Regelung, wonach eine neuerliche Prüfung nur von Amts wegen aufgrund neu hervorgekommener Tatsachen möglich ist, den Steuerpflichtigen in gröblicher Weise. Auch die Verkürzung der allgemeinen innerstaatlichen Verjährungsfrist aufgrund einer Steuerprüfung ist als rechtswidrig abzulehnen. 

Der EuGH bestätigte zudem erneut, dass der Vorsteuerabzug nicht ausschließlich aufgrund formaler Mängel ausgeschlossen werden darf, da dies dem Grundsatz der Steuerneutralität widerstrebt. 

Bedeutung des Urteils für die Praxis 

Es muss jedem Unternehmer möglich sein, seinen Vorsteueranspruch innerhalb einer angemessenen Frist geltend machen zu können. Dies gilt selbstverständlich auch für jene Fälle, bei denen eine Berichtigung vorgenommen werden muss. Gemäß der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist es zwar jedem Mitgliedstaat erlaubt, eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs zu bestimmen. Auch eine Verhängung von Strafen bzw Bußgeldern aufgrund nicht periodenrichtiger Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ist zulässig. Eine daraus resultierende Benachteiligung des Steuerpflichtigen (aufgrund einseitiger Berichtigungsmöglichkeit durch die Finanzbehörde) ist jedoch EU-rechtswidrig. Eine erhebliche Verkürzung des Zeitraums zur Durchsetzung des Vorsteueranspruches mit zum Teil fadenscheinigen Begründungen widerspricht ebenfalls den allgemeinen Grundsätzen der Europäischen Union und ist daher strikt abzulehnen.

Kritischer Ausblick 

Der EuGH zeigt sich mit seinem oa Urteil zum wiederholten Male unternehmerfreundlich in Bezug auf die Geltendmachung des Vorsteuerabzuges. Dies ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber dennoch mit Vorsicht zu genießen. Denn auch im Rahmen der Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen legt der EuGH den Fokus auf das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen, während über formale Mängel hinweggesehen wird. Als Reaktion auf diese Entwicklung brachte die Europäische Kommission im Oktober 2017 einen Vorschlag für eine Richtlinienänderung ein, womit bisher bestimmte formale Voraussetzungen zu materiellen aufgewertet werden sollen1). In gleicher Weise könnte die Europäischen Kommission auch eine Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie dahingehend anregen, dass künftig auch im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug den formalen Voraussetzungen mehr Bedeutung zukommt. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit der positiven Judikaturlinie des EuGH mit einer entsprechend verschärfenden Richtlinienänderung des Europäischen Rates begegnet wird. 

Für weitere Fragen zu dieser Thematik stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen ExpertInnen des ICON-Umsatzsteuerteams gerne zur Verfügung.


1) Der „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems und zur Einführung des endgültigen Systems der Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, COM(2017) 569 final“ wurde vom Europäischen Rat bis dato noch nicht umgesetzt!