FINANZSTRAFRECHT | Vorsteuerentzug durch Teilnahme an Betrugskarussell
Was gilt, wenn ein Unternehmen in ein Betrugskarussell eingebunden ist und dabei von geänderten Rechnungen zur offenkundigen Verkürzung von Eingangsabgaben Kenntnis hat? Führt allein die Kenntnis eines solchen Rechnungstausches mit dem Ziel, Eingangsabgaben im Drittland zu verkürzen, zum Verlust des Vorsteuerabzugs oder der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen? Mit diesen Fragen hatte sich der Verwaltungsgerichtshof in einem aktuellen Erkenntnis (VwGH 22.01.2025, Ra 2024/13/0109-11) auseinanderzusetzen, das im Folgenden näher beleuchtet wird.
Sachverhalt
Die Revisionswerberin war im internationalen Handelsgeschäft tätig und wickelte Lieferungen sowohl im Inland als auch in Drittstaaten ab. Nach den Feststellungen der Abgabenbehörden war sie Teil einer Umsatzsteuerhinterziehungsstruktur in Form eines Karussellgeschäfts, in dem verschiedene Gesellschaften als „Missing Trader“ oder „Buffer“ zwischengeschaltet waren.
Zentrales Element der beanstandeten Vorgänge war ein „Rechnungstausch“. Während die Eingangsrechnungen beim Ankauf der Handelsware den mutmaßlich richtigen Warenwert auswiesen, wurden für die Ausfuhrnachweise deutlich reduzierte Fakturen ausgestellt. Neben dieser erheblichen Wertminderung kam es auch zum Austausch von Lieferanten- und Abnehmerangaben.
Das Finanzamt versagte daraufhin sowohl den Vorsteuerabzug aus den geltend gemachten Eingangsrechnungen als auch die Steuerfreiheit der erklärten Ausfuhrlieferungen. Es begründete dies mit der Einbindung der Revisionswerberin in ein auf Steuerumgehung angelegtes System.
Das Bundesfinanzgericht bestätigte diese Sichtweise. In seiner Beweiswürdigung sah es zahlreiche Umstände als Indiz dafür, dass die Revisionswerberin von den betrugsrelevanten Abläufen Kenntnis hatte oder diese zumindest billigend in Kauf nahm. Hervorgehoben wurde insbesondere die ausdrückliche Aufnahme des Rechnungstausches in Transportaufträge an die Spedition. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Gericht, dass bei einem derartigen „Wissen-Müssen“ sowohl der Vorsteuerabzug als auch die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen ausgeschlossen sind. Dies gelte unabhängig davon, ob die Steuerverkürzung im Binnenmarkt oder im Drittland stattfinde.
Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs
Der Verwaltungsgerichtshof hob das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der Grundsatz, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs oder der Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen nur dann zulässig ist, wenn der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass seine Umsätze in eine auf das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bezogene Mehrwertsteuerhinterziehung eingebunden waren.
Ein bloßes Wissen oder Kennenmüssen von Abgabenverkürzungen im Drittland – wie sie durch den praktizierten Rechnungstausch bewirkt wurden – reicht nach Auffassung des Höchstgerichts nicht aus, um den Verlust steuerlicher Rechte zu begründen. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Abgabepflichtige auch Kenntnis von einem Bezug der Transaktionen zu einer Umsatzsteuerhinterziehung innerhalb der Europäischen Union hatte.
Das BFG hatte hierzu jedoch keine hinreichenden Feststellungen getroffen, sondern seine Beurteilung im Wesentlichen auf den Rechnungstausch und die damit verbundenen Abgabenverkürzungen im Drittland gestützt. Da somit nicht nachvollziehbar war, ob tatsächlich ein „Wissen-Müssen“ im Hinblick auf eine Mehrwertsteuerhinterziehung im EU-Binnenmarkt vorlag, konnte das Erkenntnis in dieser Form keinen Bestand haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hob die Entscheidung daher auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesfinanzgericht zurück. Eine endgültige Sachentscheidung liegt damit noch nicht vor; es bleibt abzuwarten, wie das Bundesfinanzgericht die vom Höchstgericht vorgegebenen Maßstäbe im fortgesetzten Verfahren anwenden wird.
Bedeutung für die Praxis
Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs unterstreicht die Notwendigkeit einer präzisen Abgrenzung zwischen Abgabenverkürzungen, die ausschließlich Drittlandsabgaben betreffen, und solchen, die auf eine Hinterziehung im Sinne des unionsrechtlich harmonisierten Mehrwertsteuersystems gerichtet sind. Nach der Rechtsprechung des Höchstgerichts kann die Versagung des Vorsteuerabzugs oder der Steuerbefreiung nur dann erfolgen, wenn der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass er sich mit seinen Umsätzen an einer auf das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bezogenen Hinterziehungsstruktur beteiligte. Ein bloßes Wissen um Manipulationen im Drittland genügt dafür nicht.
Für die Praxis bedeutet dies einerseits eine Stärkung der Rechtssicherheit für Abgabepflichtige, die in komplexe grenzüberschreitende Lieferketten eingebunden sind. Andererseits verdeutlicht die Entscheidung die fortbestehende Verpflichtung zu erhöhter Sorgfalt bei atypischen oder wirtschaftlich ungewöhnlichen Geschäftsvorgängen. Fehlende Vertragspartnertransparenz, auffällige Preisgestaltungen oder unklare Warenflüsse können weiterhin als Indizien für ein „Wissen-Müssen“ gewertet werden und entsprechende abgabenrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Eine besondere Relevanz erhält das Erkenntnis im Lichte des durch das Betrugsbekämpfungsgesetz 2024 neu eingeführten § 51b FinStrG. Diese Bestimmung normiert eine eigenständige Finanzordnungswidrigkeit für die Herstellung, Verfälschung oder Verwendung unrichtiger Belege, wenn dadurch ein tatsächlicher oder vermeintlicher Geschäftsvorgang vorgetäuscht oder dessen wahrer wirtschaftlicher Gehalt verschleiert werden soll. Damit wird bereits das bloße Vorbereitungsstadium einer späteren Abgabenverkürzung erfasst.
Während der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall noch an der Frage zu unterscheiden hatte, ob das Wissen um eine im Drittland begangene Abgabenverkürzung überhaupt zu einer abgabenrechtlichen Sanktion führen kann, geht der Gesetzgeber mit § 51b FinStrG bewusst einen Schritt weiter. Die Strafbarkeit knüpft nun nicht mehr erst an den Eintritt einer Verkürzung oder an den Nachweis einer Mehrwertsteuerhinterziehung im Unionsgebiet an, sondern bereits an die Verwendung oder Erstellung manipulativer Belege als solche. Damit werden genau jene „Rechnungstausch“-Konstellationen, die dem Erkenntnis zugrunde lagen, künftig auch finanzstrafrechtlich unmittelbar sanktionierbar.
  
Diese gesetzgeberische Entwicklung zeigt, dass die Schwelle zwischen abgabenrechtlicher Verantwortung und strafrechtlicher Haftung zunehmend vorverlagert wird. Für Unternehmen und deren Verantwortliche folgt daraus ein erhöhter Bedarf an internen Kontrollmechanismen, Compliance-Strukturen und sorgfältiger Dokumentation, um finanzstrafrechtliche Risiken im Zusammenhang mit Rechnungslegung und Nachweisführung effektiv zu minimieren.
 
FAZIT
Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs fügt sich in eine Entwicklung ein, die einerseits auf die Wahrung rechtsstaatlicher Grenzen bei der Beurteilung von Tatbeiträgen in komplexen Umsatzsteuerstrukturen bedacht ist, andererseits aber durch neue gesetzliche Bestimmungen – wie § 51b FinStrG – eine deutliche Verschärfung der Verantwortlichkeit erkennen lässt. Während der VwGH den behördlichen Nachweis des „Wissen-Müssens“ weiterhin an klare, sachverhaltsbezogene Kriterien bindet, verlagert der Gesetzgeber die Schwelle der Strafbarkeit zunehmend in das Vorfeld der eigentlichen Abgabenverkürzung.
Gerade diese gegenläufige Entwicklung – restriktive Judikatur auf der einen, präventive Gesetzgebung auf der anderen Seite – wird das Spannungsfeld zwischen Abgabenrecht und Finanzstrafrecht künftig prägen. In der Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen nicht nur auf die materiellrechtliche Absicherung ihrer Transaktionen achten müssen, sondern auch auf die formelle Integrität ihrer Beleg- und Nachweisführung. Der bloße Verweis auf fehlende Kenntnis wird künftig nicht mehr ausreichen, wenn interne Kontrollmechanismen objektiv mangelhaft sind oder wirtschaftlich unplausible Geschäftsvorfälle ungeprüft abgewickelt werden.
Langfristig zeichnet sich damit ein Paradigmenwechsel ab: Die Grenzen zwischen abgabenrechtlicher Nachlässigkeit und finanzstrafrechtlicher Verantwortung werden zunehmend fließend. Unternehmen und ihre Organe sind daher gefordert, Compliance-Strukturen nicht nur als organisatorische, sondern auch als rechtliche Schutzmechanismen zu verstehen – insbesondere in Bereichen, in denen Dokumentationspflichten, Rechnungssysteme und internationale Warenströme zusammentreffen.
 
		
					