NEWS  |   |  

UMSATZSTEUER | e-commerce - Aktuelle Entwicklungen im EU-Versandhandel

Seit einigen Jahren strebt die Europäische Union danach, die Rahmenbedingungen für die Umsatzsteuer-Compliance im grenzüberschreitenden Online-Handel zu vereinheitlichen bzw zu vereinfachen. Voraussichtlich ab 1. Juli 2021 soll es zu einer grundlegenden Reform kommen, insbesondere soll die Umsatzbesteuerung im Bereich der Lieferungen und sonstigen Leistungen an Nichtunternehmer in jenem EU-Mitgliedstaat erfolgen, in dem der Verbrauch stattfindet (Bestimmungsland). Zu diesem Zweck wird eine für jeden Mitgliedstaat geltende einheitliche Lieferschwelle in Höhe von EUR 10.000 eingeführt. Das bereits bestehende „MOSS“ wird erweitert und zum EU One-Stop-Shop („EU-OSS“) ausgebaut, über welchen dann sämtliche Umsatzsteuererklärungen und Zahlungen im Zusammenhang mit Lieferungen und sonstigen Leistungen an Nichtunternehmer für die betreffenden EU-Mitgliedstaaten abgewickelt werden können. Es können aber dennoch Registrierungspflichten in den einzelnen Ländern drohen: Marktplätze wie Amazon und Co stellen nämlich den Online-Händlern im Rahmen von sog. Fulfillment-Vereinbarungen ihre EU-weite Logistik-Infrastruktur zur Verfügung. Da die Waren diesfalls nicht nur vorübergehend in ein ausländisches Warenlager verbracht werden, sind wiederum innergemeinschaftliche Verbringungstatbestände die Folge.

Das „E-Commerce-Paket“ wurde in Österreich im Rahmen des Abgabenänderungsgesetz 2020, BGBl. I Nr. 91/2019, grundsätzlich geltend ab 1.1.2021, umgesetzt. Das tatsächliche Inkrafttreten wurde sodann auf den 1.7.2021 verschoben (vgl dazu unseren NL-Beitrag „CORONAVIRUS | COVID-19-Steuermaßnahmengesetz ante portas!“ vom 22.12.2020). Deutschland und die Niederlande zweifeln aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie jedoch an der fristgerechten Umsetzbarkeit und befürworten daher eine weitere Verschiebung des Inkrafttretens dieser Bestimmungen auf den 1.1.2022. 

Die im Zusammenhang mit dem innergemeinschaftlichen Versandhandel relevanten Änderungen zur Abschaffung der Lieferschwelle und Einführung einer Kleinstunternehmer-Regelung finden sich im Art 3 Abs 3, 5 und 6 in Verbindung mit Art 25a UStG, demzufolge beim innergemeinschaftlichen Versandhandel die Lieferung dort als ausgeführt gilt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer endet, sofern die Lieferschwelle (Umsatzgrenze) von EUR 10.000 (maßgeblich für den gesamten EU-Raum) überschritten wird und der liefernde Unternehmer über keine Betriebsstätte im Bestimmungsland verfügt (Kleinstunternehmer-Regelung). 

Eine innergemeinschaftliche Versandhandelslieferung ist bei Überschreiten der Umsatzgrenze von EUR 10.000 im jeweiligen Bestimmungsmitgliedstaat steuerbar und steuerpflichtig. Zu diesem Zweck hat sich der liefernde Unternehmer zu registrieren und seine Umsätze zu erklären, und zwar entweder 

  • durch Registrierung im jeweiligen Bestimmungsmitgliedstaat oder
  • durch Erklärung aller innergemeinschaftlichen Versandhandelsumsätze über den EU-OSS (Sonderregelung nach Art. 25a UStG). Die Anwendung des EU-OSS kann aber nicht auf einzelne Länder beschränkt werden.

Voraussetzungen und Bestimmungen ab 1.7.2021 

Nachfolgend sollen die Voraussetzungen für die Anwendung der ab 1.7.2021 geltenden

Bestimmungen zum innergemeinschaftlichen Versandhandel erläutert werden: 

Abnehmer 

Als Abnehmer ist gemäß Art 3 Abs 4 UStG anzusehen 

  • ein Nichtunternehmer (dh eine Privatperson oder auch ein Unternehmer, der den Gegenstand nicht für sein Unternehmen erwirbt) oder
  •  ein Schwellenerwerber (dh ein Unternehmer, der nur steuerfreie Umsätze ausführt, die nicht zum Vorsteuerabzug führen; oder ein nach dem Recht des für die Besteuerung zuständigen Mitgliedstaates steuerbefreiter Kleinunternehmer, der weder die Erwerbsschwelle von EUR 11.000 überschreitet noch auf deren Anwendung verzichtet). 

Lieferschwelle (Umsatzgrenze)

Die Lieferschwelle (Umsatzgrenze) gemäß Art 3 Abs 5 lit c UStG berechnet sich nach dem Gesamtbetrag der innergemeinschaftlichen Versandhandelslieferungen ins übrige Gemeinschaftsgebiet zuzüglich der Umsätze für elektronisch erbrachte sonstige Leistungen, Telekommunikationsleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen an Nichtunternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet (Art 3a Abs 5 Z 1 lit c UStG) und gilt wertmäßig für die gesamte EU. 

Umsätze bis EUR 10.000 (EU-Umsatz) sind daher grundsätzlich im Ursprungsland (am Beginn der Beförderung/Versendung) steuerbar und steuerpflichtig, sofern der liefernde Unternehmer gemäß Art 3 Abs 6 UStG nicht auf die Anwendung dieser Bestimmung verzichtet (Verzicht auf Kleinstunternehmer-Regelung). 

Die bisher geltenden Lieferschwellen in den einzelnen EU-Ländern werden zeitgleich mit der neuen Lieferschwelle aufgehoben. 

Kleinstunternehmer-Regelung 

Kleinstunternehmer sind gemäß Art 3 Abs 5 lit c UStG Unternehmer, die ihr Unternehmen in einem EU-Mitgliedstaat betreiben und außerhalb dieses Mitgliedstaates keine Betriebsstätte innehaben, Waren an Nichtunternehmer in einen anderen Mitgliedstaat liefern und die Umsatzgrenze von EUR 10.000 im vorangegangenen Kalenderjahr nicht und auch im laufenden Kalenderjahr noch nicht überschritten haben. 

Gemäß Art 3 Abs 6 UStG kann der „Kleinstunternehmer“ innerhalb der Frist zur Abgabe der Voranmeldung für den Voranmeldungszeitraum, in dem erstmals ein Versandhandel bewirkt wurde, auf die Kleinstunternehmer-Regelung verzichten und stattdessen ab dem ersten Euro den Versandhandelsumsatz im Bestimmungsmitgliedstaat versteuern (Wahlrecht). 

Beispiel 1:

  • Sachverhalt: Der Unternehmer AT liefert (von Österreich) an Privatkunden in Deutschland (€ 100.000), in Tschechien (€ 20.000) sowie in Österreich (€ 20.000). Zudem verkauft er online eine selbst erstellte Software an Privatkunden in Frankreich und in Deutschland (je € 12.000). Die Lieferschwelle von € 10.000 wurde in D, CZ, FR bereits im Vorjahr überschritten.
  • Lösung: Da die Umsatzgrenze für die innergemeinschaftlichen Versandhandelslieferungen und elektronischen Dienstleistungen im laufenden Jahr überschritten wird, sind die Lieferungen an Privatkunden in D und CZ steuerbar und steuerpflichtig im Bestimmungsland D bzw CZ (Ende der Beförderung/Versendung). Die Erstellung der Software ist gemäß § 3a Abs 13 iVm Art 3a Abs 5 UStG in Fr bzw D steuerbar und steuerpflichtig. Der Unternehmer hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder umsatzsteuerliche Registrierung in D, CZ und Fr (sowie Abgabe von UVA) oder Registrierung/Meldung der ig Versandhandelsumsätze und der sonstigen Leistungen über das EU-OSS (FinanzOnline in AT). 

Beispiel 2:

  • Sachverhalt: Der Unternehmer AT liefert (von Österreich) an Privatkunden in D (€ 2.000), in CZ (€ 5.000) sowie in AT (€ 20.000). Zudem verkauft er online eine selbst erstellte Software an Privatkunden in FR (€ 2.000). Die Lieferschwelle von € 10.000 wurde im Vorjahr im EU-Raum überschritten.
  • Lösung: Obwohl im laufenden Jahr Versandhandelsumsätze inklusive Umsätze aus elektronisch erbrachten sonstigen Leistungen in Höhe von € 9.000 erzielt werden, ist Art. 3 Abs. 3 UStG anzuwenden, da die Lieferschwelle von € 10.000 im Vorjahr überschritten wurde. Die Vereinfachungsregelung für Kleinstunternehmer im Sinne des Art. 3 Abs. 5 UStG greift demnach nicht. Im laufenden Kalenderjahr liegt daher der Leistungsort der innergemeinschaftlichen Versandhandelsumsätze und der elektronisch erbrachten sonstigen Leistungen am Empfängerort.

Indirekte Beteiligung des Online-Händlers an der Beförderung/Versendung 

Voraussetzung ist, dass der Lieferer (Online-Händler) den Gegenstand der Lieferung entweder selbst oder indirekt von einem Mitgliedstaat (Ursprungsland) in einen anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsland, in dem die Beförderung/Versendung endet) befördert bzw versendet. 

Eine indirekte Beteiligung durch den liefernden Unternehmer (Online-Händler) liegt insbesondere vor, 

  • wenn dieser einen Dritten mit dem Transport beauftragt oder
  • dem Erwerber die Transportkosten für die Versendung in Rechnung stellt (und diese an den Zustelldienst weiterleitet) oder
  • der liefernde Unternehmer den Zustelldienst gegenüber dem Erwerber bewirbt, den Kontakt herstellt und somit den Transport vermittelt. 

Im EuGH-Urteil vom 18.6.2020, C-276/18, KrakVet Marek Batkom, ging es um einen polnischen Tierfutterlieferanten, der Produkte online an ungarische Privatkunden verkaufte und auf seiner Homepage einen Zulieferdienst empfahl, wobei der Europäische Gerichtshof diesfalls das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Versandhandels sowie die Besteuerung im Bestimmungsland Ungarn bestätigte. 

Sonderregelung EU One-Stop-Shop (EU-OSS) 

Entscheidet sich ein Unternehmen für die Anwendung des EU-OSS, sind sämtliche innergemeinschaftlichen Versandhandelsumsätze über den EU-OSS zu deklarieren (vgl Rz 4297 UStR). Darunter fallen auch jene, welche im Mitgliedstaat der Registrierung (MSI) zum EU-OSS steuerbar und steuerpflichtig sind. 

Der Unternehmer wird bei diesem System nur in einem EU-Mitgliedstaat umsatzsteuerlich erfasst (MSI – Mitgliedstaat der Identifizierung). Für in der EU ansässige Unternehmen erfolgt die Registrierung zum EU-OSS in jenem Mitgliedstaat, in dem der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine Betriebsstätte begründet wird. In Österreich erfolgt die Anmeldung über FinanzOnline, wobei eine gültige UID-Nummer Voraussetzung für die Anmeldung ist. Drittlandsunternehmer, die in der EU nicht ansässig sind, können den EU-OSS nur für innergemeinschaftliche Versandhandelsumsätze verwenden. Diese können sich wahlweise in jenem Mitgliedstaat registrieren, in dem die Warenbewegung für alle oder für einen Teil dieser Lieferungen beginnt. 

Die in anderen EU-Mitgliedstaaten geschuldete Umsatzsteuer wird getrennt nach Mitgliedstaaten und Steuersätzen gemeinsam im EU-OSS erklärt und in einer Sammelüberweisung entrichtet. Die Aufteilung der länderspezifischen Umsatzsteuerbeträge erfolgt durch das zuständige Finanzamt des Mitgliedstaates der Registrierung (MSI). 

Vorsteuerbeträge können nicht über den EU-OSS beantragt werden. Sofern Vorsteuern abzugsfähig sind, sind diese im Vorsteuererstattungsverfahren oder – wenn der Unternehmer im jeweiligen Mitgliedstaat registriert ist – im Veranlagungsverfahren geltend zu machen. 

Fallbeispiel: Amazon - Fulfillment 

Seit einiger Zeit bietet Amazon den Unternehmern die Lagerung und den Versand der Waren über amazoneigene Logistik-Center in der EU (Amazon-Fulfillment FBA) an. Im Rahmen dieser Fulfillment-Vereinbarung befördert oder versendet der Online-Händler AT (Sitz in Österreich) seine Waren in ein deutsches Amazon-Lager. Amazon verteilt die Ware sodann auf seine Läger im In- und Ausland, vorzugsweise in Polen und Tschechien. Der Versand zum Kunden erfolgt durch Amazon im Auftrag des Unternehmers aus dem jeweiligen Lager im In- oder Ausland. 

Sowohl bei der unternehmenseigenen Beförderung bzw Versendung nach Deutschland als auch bei der Weiterversendung durch Amazon in ein weiteres Lager (zB in Tschechien) handelt es sich um eine innergemeinschaftliche Verbringung von Waren zur Verfügung des jeweiligen Unternehmers, für welche im Ursprungsland (in AT) eine sog. steuerfreie innergemeinschaftliche Verbringung gemäß § 6 Abs 1 Z 1 iVm Art 7 Abs 2 UStG und im Bestimmungsland (in D und in CZ) ein steuerbarer und idR steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb gemäß Art 3 Abs 1 UStG zu erklären ist. Zu diesem Zweck benötigt der Online-Händler eine umsatzsteuerliche Registrierung (UID-Nummer) im jeweiligen Warenlager-Land (in Deutschland und in Tschechien). 

Die Waren des Online-Händlers AT werden aus dem Amazon-Lager in Tschechien an Privatpersonen in Tschechien (€ 50.000), in Deutschland (€ 100.000), in Polen (€ 30.000) und in Österreich (€ 70.000) verkauft. Wegen der Verbringung der Waren nach Deutschland und anschließend nach Tschechien hat sich der Online-Händler in Deutschland und Tschechien umsatzsteuerlich registrieren zu lassen. Die innergemeinschaftlichen Versandhandelsumsätze von Tschechien nach Deutschland, nach Polen und nach Österreich können über den EU-OSS abgewickelt werden, wobei der EU-OSS im MSI Österreich (Sitzort des Online-Händlers) anzumelden ist. Die innerstaatlichen Lieferungen in Tschechien sowie die innergemeinschaftlichen Erwerbe anlässlich der Verbringung der Waren nach Tschechien sind im Rahmen der laufenden Veranlagung in Tschechien zu erklären. In Deutschland ist der innergemeinschaftliche Erwerb anlässlich der Verbringung der Waren nach Deutschland sowie die steuerfreie, innergemeinschaftliche Lieferung von Deutschland nach Tschechien zu erklären.

FAZIT

Am 1. Juli 2021 sollen weitreichende Maßnahmen in Kraft treten, die darauf abzielen, den grenzüberschreitenden Online-Handel in der Europäischen Union neu zu ordnen und die umsatzsteuerlichen Compliance-Tätigkeiten zu minimieren. Aufgrund des technologischen Wandels der Logistik im Online-Handel dürfte dieses Ziel jedoch nicht mehr erreichbar sein. Innergemeinschaftliche Versandhandelsumsätze können zwar über den EU-One-Stop-Shop zentral für alle EU-Mitgliedstaaten erklärt werden, die Umlagerung von im Online-Handel angebotenen Waren im Rahmen von sog. Fulfillment-Vereinbarungen mit Amazon und Co führt jedoch zu neuen Registrierungs- und Erklärungsverpflichtungen

Der obige Beitrag ist der erste Teil einer Artikelserie über die aktuellen Entwicklungen und Neufassung der umsatzsteuerlichen Bestimmungen im e-commerce, die wir in den folgenden Newsletters fortsetzen werden. 

Für Rückfragen stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen Ansprechpartner der Service Line "Indirect Tax & Customs"​​​​​​​ gerne zur Verfügung!