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EINKOMMENSTEUER | Progressionsvorbehalt auch für Nicht-Ansässige

Mit VwGH-Erkenntnis vom 7.9.2022, Ra 2021/13/0067, wurde entschieden, dass bei in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen Personen ein Progressionsvorbehaltbei der Steuersatzermittlung für die im Inland zu besteuernden Einkommensanteile auch dann zur Anwendung kommt, wenn die betreffenden Steuerpflichtigen im Ausland ansässig sind. Diese höchstgerichtliche Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung, zumal die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei Nicht-Ansässigen der bisherigen Verwaltungspraxis widerspricht. Das Erkenntnis dürfte für betroffene natürliche Personen vielfach zu einer höheren Steuerbelastung führen und zudem einen erhöhten Verwaltungsaufwand für die Erstellung von Einkommensteuererklärungen zeitigen.

Über die mögliche Anwendung des sog. „Progressionsvorbehalts“ bei Nichtansässigkeit in Österreich hatten wir Sie im Rahmen unseres Newsletters bereits früher informiert (vgl zur damaligen BFG-Entscheidung in einem anderen (österreichisch-slowakischen) Fall unseren NL-Beitrag „DBA-RECHT | ESt-Progressionsvorbehalt bei Ansässigkeit im Ausland?“ vom 12.8.2020). Im nachfolgenden Beitrag möchten wir Sie über eine aktuelle VwGH-Entscheidung betreffend die Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischer Einkünfte im Wege des Progressionsvorbehalts für den Tätigkeits- bzw Quellenstaat in Kenntnis setzen:
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Unbeschränkte Steuerpflicht und Progressionsvorbehalt


Gemäß § 1 Abs 2 EStG unterliegen natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich grundsätzlich auf das gesamte „Welteinkommen“, somit auf alle in- und ausländischen Einkünfte. Auf Basis dieses Steueranspruchs errechnet sich der auf die inländischen Einkünfte anzuwendende Steuersatz nach dem Welteinkommen, worin der Progressionsvorbehalt seine innerstaatliche Rechtsgrundlage findet.

In Österreich ist der Progressionsvorbehalt zwar nicht explizit im Gesetz verankert, er ergibt sich jedoch zwangsläufig aus den Bestimmungen im Einkommensteuergesetz (EStG 1988). Soweit ein Doppelbesteuerungsabkommen dem Wohnsitzstaat das Recht zugesteht, die Steuern von den ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünften mit jenem Steuersatz zu erheben, der dem Welteinkommen entspricht, ist daher bei der Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes zwingend auf die ausländischen Einkünfte Bedacht zu nehmen.
 

VwGH-Erkenntnis vom 7.9.2022, Ra 2021/13/0067


Im vorliegenden Fall liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt zwischen der Türkei und der Republik Österreich vor, sodass das zwischen diesen beiden Staaten abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommt (DBA Österreich-Türkei aus 2009). Die betreffende steuerpflichtige Person bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, die sie teilweise in Österreich, in der Türkei sowie auch in anderen Staaten ausübt. Diese Person verfügte über einen Wohnsitz in Österreich, wodurch hier eine unbeschränkte Steuerpflicht begründet wurde. Die Ansässigkeit lag hingegen – aufgrund des Mittelpunkts der Lebensinteressen - unstrittig in der Türkei.

Aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich wurde im Zuge der Einkommensteuerveranlagung 2018 unter Anwendung des Progressionsvorbehalts somit jener Teil der Einkünfte, der laut maßgeblichem DBA in der Türkei zu besteuern war, bei der Berechnung des Durchschnittsteuersatzes in Österreich einbezogen. Gegen diese Vorgehensweise der Finanzverwaltung erhob die Steuerpflichtige Beschwerde beim Bundesfinanzgericht mit der Begründung, dass Österreich als Quellenstaat kein Progressionsvorbehalt auf die ausländischen Einkünfte zustehe. Der Beschwerde wurde nur teilweise stattgegeben, woraufhin die Steuerpflichtige Revision beim Verwaltungsgerichtshof einlegte:

Die Revision wurde jedoch mit Erkenntnis vom 7.9.2022 als unbegründet abgewiesen. Der VwGH begründete dies damit, dass das DBA Österreich-Türkei der Anwendung des Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat (bzw hier eigentlich Tätigkeitsstaat) nicht entgegenstehe. Das maßgebliche Doppelbesteuerungsabkommen enthalte zur Frage des Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat keine Bestimmungen. Der Methodenartikel beziehe sich jeweils auf den Ansässigkeitsstaat, nicht aber auf den Quellenstaat. Der Kommentar zum OECD-Musterabkommen führe dazu aus, dass dem Quellenstaat die Anwendung eines Progressionsvorbehalts nicht verboten und somit zulässig ist. Weder aus dem Abkommen selbst noch aus den Materialen zum DBA Österreich-Türkei ließe sich eine Einschränkung hinsichtlich der Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Quellenstaat ableiten. Es finde sich lediglich der Hinweis, dass Österreich auf OECD-Grundlage die Befreiungsmethode unter Progressionsvorbehalt anwendet. Im Lichte dessen ist Art 22 des DBA Österreich-Türkei so zu verstehen, dass für den Quellenstaat ein Progressionsvorbehalt weder eingeräumt noch verboten wurde. Das DBA Österreich-Türkei entfaltet somit hinsichtlich der Anwendung des Progressionsvorbehalts auf Basis der innerstaatlichen Rechtslage keine Schrankenwirkung.

Das Höchstgericht führte weiters aus, dass bei der Beurteilung der Steuerpflicht grenzüberschreitender Sachverhalte zunächst ermittelt werden muss, ob der Steueranspruch nach innerstaatlichem Steuerrecht, also durch Anwendung des EStG 1988, besteht. Für die Ermittlung des Steuersatzes sind auch die ausländischen Einkünfte heranzuziehen, da die Heranziehung der türkischen Einkünfte bei Ermittlung des Steuersatzes im DBA Österreich-Türkei nicht verboten ist.
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FAZIT


​​​​​​​Das oben erläuterte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7.9.2022 (betreffend einen österreich-türkischen DBA-Fall) weicht von der jahrelang gelebten österreichischen Verwaltungspraxis ab, wonach Österreich den Progressionsvorbehalt bei der Veranlagung unbeschränkt Steuerpflichtiger lediglich bei gleichzeitiger Ansässigkeit im Inland anwendet. Die künftige Verwaltungspraxis bleibt daher abzuwarten.

Im Lichte der aktuellen VwGH-Entscheidung ist insbesondere auch ein erhöhter Aufwand für die Erstellung von Einkommensteuererklärungen zu erwarten, müssen doch für die Berechnung des dann anzuwendenden Steuersatzes auch Auslandseinkünfte – nach österreichischen Grundsätzen (!) – ermittelt werden, soweit diese der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich unterliegen. Insbesondere für Personen mit hohen Einkünften kann dies zu einer deutlichen Steuermehrbelastung in Österreich führen. Demgegenüber dürfte in vielen Fällen der erhöhte Verwaltungsaufwand in keinem Verhältnis zum marginal geringeren Steueraufkommen stehen.

Typische Fälle, welche durch das aktuelle VwGH-Erkenntnis betroffen sein dürften, sind etwa

  • Entsendungen nach Österreich mit Wohnsitzbegründung im Inland und steuerpflichtigen Einkünften sowohl im In- als auch im Ausland;
  • Im Ausland ansässige Steuerpflichtige mit österreichischem Zweit- bzw Ferienwohnsitz und aus- wie inländischen Einkünften (zB Vermietung oder nichtselbständige Tätigkeit im Inland);
  • Inländische Betriebsstätte eines deutschen Gewerbebetriebes, welcher der Einkommensteuer unterliegt;

Der Progressionsvorbehalt dürfte wohl auch für beschränkt Steuerpflichtige gelten, wenn diese mehrere Einkünfte beziehen, die der österreichischen beschränkten Steuerpflicht unterliegen und das Besteuerungsrecht für einen Teil der Einkünfte nicht bei Österreich liegt.

Für Einkünfte, auf die ein fester Steuersatz anwendbar ist (zB dem KESt-Abzug unterliegende Kapitaleinkünfte; beschränkt steuerpflichtige Einkünfte, die der Abzugsteuer iSd § 99 EStG unterliegen (zB Künstler, Sportler)), hat das VwGH-Erkenntnis hingegen keine Auswirkungen, solange keine Regelbesteuerungsoption im Rahmen einer Veranlagung ausgeübt wird. Auch für Körperschaftsteuersubjekte ergeben sich daraus keine Auswirkungen.

Für weitere Fragen zu diesem Themenbereich stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen ExpertInnen unserer Service Lines "Global Employment Services​​​​​​​" sowie "International Tax​​​​​​​" gerne zur Verfügung!
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