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EINKOMMENSTEUER | Progressionsvorbehalt für Nicht-Ansässige ab Veranlagung 2023

Nach bisheriger Verwaltungspraxis unterlagen Personen, die in Österreich zwar unbeschränkt steuerpflichtig, nicht aber ansässig im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens sind, nicht dem Progressionsvorbehalt. Laut VwGH-Erkenntnis vom 7.9.2022, Ra 2021/13/0067 war dies allerdings nicht gesetzeskonform (vgl. dazu unseren NL-Beitrag vom 24.11.2022 https://www.icon.at/news/detail/einkommensteuer-progressionsvorbehalt-auch-fuer-nicht-ansaessige). Die Finanzverwaltung hat daher die Einkommensteuerrichtlinien an die aktuelle VwGH-Judikatur angepasst und eine Reihe von Zweifelsfragen dazu beantwortet, die im Folgenden dargestellt werden.

 

Ab welchem Veranlagungsjahr greift der Progressionsvorbehalt für „nur unbeschränkt Steuerpflichtige“?


Der Progressionsvorbehalt für nur unbeschränkt steuerpflichtige Personen kommt erstmals ab der Veranlagung 2023 zur Anwendung (siehe RZ 7595 EStRl idF Wartungserlass 2023). Im Begutachtungsentwurf war noch vorgesehen, dass der Progressionsvorbehalt bereits ab der Veranlagung 2022 anzuwenden ist. Durch die nochmalige Verschiebung um ein Jahr sollen wohl die entsprechenden technischen Voraussetzungen geschaffen und auch die Steuererklärungsformulare angepasst werden. Damit werden ab 2023 neue, aber auch viele bereits bestehende Sachverhalte erstmals zu einer Veranlagungspflicht in Österreich führen – verbunden mit einer entsprechenden Steuermehrbelastung. Dies soll durch die beiden folgenden Beispiele verdeutlicht werden:

 

Fallbeispiel 1– „Monatspendlerin“


​​​​​​​Sachverhalt: Frau F. (Familienwohnsitz Hamburg) ist bei der deutschen D-AG angestellt. Sie wird von der D-AG zur Geschäftsführerin der österreichischen Konzerngesellschaft A-GmbH in Wien bestellt. Sie ist weiterhin auch für die D-AG tätig und erhält für die zusätzliche Geschäftsführungsfunktion eine Funktionszulage, die aufgrund Art 16 Abs 2 DBA Deutschland der österreichischen Besteuerung unterliegt. Einmal im Monat arbeitet sie im Rahmen ihrer Geschäftsführungsfunktion für 1 Woche in Wien und nächtigt dabei in einer Dienstwohnung, die ihr die A-GmbH für die Dauer der Geschäftsführungsfunktion zur Verfügung stellt.

​​​​​​​Lösung: Die Dienstwohnung begründet für Frau F. unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich. Frau F. ist daher verpflichtet,  ab 2023 in Österreich eine Arbeitnehmerveranlagung durchzuführen, in der sie für Zwecke des Progressionsvorbehalts auch die Einkünfte aus ihrer weiterhin für die D-AG ausgeübten Funktion erklärt.

 

Fallbeispiel 2 – „Auswanderer“


Herr M. übersiedelte nach Pensionsantritt gemeinsam mit seiner Gattin von Linz an den Starnberger See nach Deutschland. Er gibt dort wöchentlich Yogakurse und ist als Investor in Form einer echten stillen Beteiligung an einem Start-Up in Berlin beteiligt. Die beiden behielten auch die Wohnung in Linz, die sie regelmäßig anlässlich der Besuche ihrer erwachsenen Kinder in Linz benutzen.

Lösung: Der „Zweitwohnsitz“ in Linz begründet für Herrn M. unbeschränkte Steuerpflicht (sofern nicht die Zweitwohnsitz-Verordnung greift). Herr M. ist daher verpflichtet, in Österreich eine Einkommensteuererklärung einzureichen, in der er für Zwecke des Progressionsvorbehalts auch die Einkünfte aus dem Yoga-Gewerbetrieb und der stillen Beteiligung für Zwecke des Progressionsvorbehalts erklärt. Diese erhöhen den Durchschnittsteuersatz für die nach der Kassenstaatsregel (Art 18 Abs 2 DBA Deutschland) weiterhin in Österreich steuerpflichtigen Pensionseinkünfte.

 

Führt jede Art von Wohnsitz in Österreich zum Progressionsvorbehalt für „nur unbeschränkt Steuerpflichtige“?


Nein. So sieht etwa die sogenannte Zweitwohnsitz-Verordnung (BGBl II 2003/528) vor, dass Abgabepflichtige, 

  • deren Mittelpunkt der Lebensinteressen sich länger als fünf Kalenderjahre im Ausland befindet UND 
  • die (nachweislich) ihre inländische Wohnung allein oder gemeinsam mit anderen inländischen Wohnungen an nicht mehr als 70 Tagen nutzen, 

keinen Wohnsitz im Sinne des § 1 EStG begründen. Wird die Zweitwohnsitz-VO angewandt, erfolgt auch keine Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts (siehe RZ 7595 EStRl idF Wartungserlass 2023). Die Bedeutung der Zweitwohnsitz-VO wird damit ab 2023 zunehmen.

 

Ist auch bei bloß beschränkt Steuerpflichtigen ein Progressionsvorbehalt anzuwenden?


Nein. Die Einkommensteuerrichtlinien sehen einen Progressionsvorbehalt nur für unbeschränkt steuerpflichtige Personen vor.

 

(Derzeit) offene Fragen


Der ab der Veranlagung 2023 anzusetzende Progressionsvorbehalt wirft auch eine Reihe von Fragen auf, die mit dem EStRl-Wartungserlass (noch) nicht geklärt wurden:

  • So sieht § 1 Abs 4 EStG vor, dass beschränkt Steuerpflichtige unter bestimmten, im Gesetz näher definierten Umständen auf Antrag als „unbeschränkt steuerpflichtig“ behandelt werden können. Dies ist sinnvoll, damit beschränkt Steuerpflichtige bei Erfüllung der Voraussetzungen dieselben Absetzbeträge bzw. denselben (günstigeren) Einkommensteuertarifsverlauf wie unbeschränkt Steuerpflichtige geltend machen können. Offen ist derzeit, ob die Antragsausübung ab der Veranlagung 2023 dann auch zum Progressionsvorbehalt führen wird.
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  • Ebenfalls noch zu konkretisieren ist, in welcher Art und Weise zukünftig die ausländischen Progressionseinkünfte nachzuweisen sein werden. Nach der bisher – nur für auch nach DBA in Österreich ansässige Personen – herrschenden Verwaltungspraxis gab es keinerlei formale Anforderungen. Da ab 2023 die Anzahl der Veranlagungen mit Progressionsvorbehalt aber massiv ansteigen wird, könnte es durchaus sein, dass Gesetzgeber oder Finanzverwaltung hier noch nachschärfen. Anbieten würde sich beispielsweise, die bislang nur im Bereich des § 1 Abs 4 EStG (Antrag auf Behandlung als unbeschränkt Steuerpflichtiger) bestehende Bescheinigungspflicht durch die zuständige ausländische Abgabenbehörde (Formular E9) in adaptierter Form auch für Zwecke des Nachweises der Progressionseinkünfte zu verwenden.

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FAZIT

 

Was ist nun zu tun?


​​​​​​​Derzeit bereits bestehende grenzüberschreitende Sachverhalte sollten dahingehend analysiert werden, ob ab dem Steuerjahr 2023 zusätzliche Veranlagungs- und Steuererklärungspflichten in Österreich bestehen. Dies betrifft insbesondere Fälle von natürlichen Personen, die zwar in Österreich kraft Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt unbeschränkt steuerpflichtig sind, allerdings aufgrund des Mittelpunkts der Lebensinteressen in einem anderen DBA-Staat ansässig sind. Dabei ist zu beachten, dass die Nichtangabe von zwar steuerfreien, aber progressionswirksamen Auslandseinkünften kein „Kavaliersdelikt“ ist, sondern unter Umständen auch finanzstrafrechtliche Folgen haben kann.

Gerne stehen Ihnen die Verfasser oder andere Mitarbeiter der Service Lines „Global Employment Services“ oder „International Tax“ dabei zur Seite!