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VORSTEUERABZUG | Erleichterungen oder neue Fallen durch EuGH?

Platzer Günther  |  Stockinger Martin

In zwei aktuellen Urteilen stellte der EuGH klar, dass die Finanzbehörden den Vorsteuerabzug aufgrund formaler Rechnungsmängel nicht bedingungslos versagen dürfen. Weiters wurde aufgezeigt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Jahr der Rechnungsausstellung auszuüben ist, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt nicht alle gesetzlichen Rechnungsmerkmale vorgelegen haben, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt eine Berichtigung erfolgte. Die neue Rechtsprechung soll auch bereits Eingang in den UStR-Wartungserlass 2016 finden und wird daher in Kürze auch seitens der österreichischen Finanzverwaltung zu beachten sein. 

Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sowie deren bevorstehender Berücksichtigung seitens der österreichischen Finanzverwaltung im (allerdings erst als Begutachtungsentwurf vorliegenden) Wartungserlass 2016 zu den Umsatzsteuerrichtlinien möchten wir Ihnen in diesem Beitrag zunächst einen kurzen Überblick über die aktuelle umsatzsteuerrechtliche Situation geben und sodann resümieren, inwieweit daraus für die Praxis tatsächlich künftige Erleichterungen zu erwarten sind: 

Ausgangslage und aktuelle Rechtsprechung  

  • EuGH vom 15.9.2016, Rs Barlis 06, C-516/14

    Die Rechtssache „Barlis 06“ stellte den EuGH vor die Frage, inwieweit mangelhafte Rechnungsangaben hinsichtlich Art und Umfang bzw Leistungserbringungszeitpunkt einen Vorsteuerabzug ausschließen. Im konkreten Fall handelte es sich nicht um ein gänzliches Fehlen von Rechnungsangaben gemäß Art. 226 MwStSystRL, sondern lediglich um ungenaue Angaben, welche keine klaren Aussagen über den Inhalt und Zeitpunkt der Leistung zuließen. Ein gänzliches Fehlen der Rechnungsmerkmale nach Art. 226 MwStSystRL würde laut EuGH jedenfalls zu einem Ausschluss vom Vorsteuerabzug führen. Nachdem dem Unternehmen der Vorsteuerabzug seitens der zuständigen Finanzverwaltung, angesichts der genannten Mängel, zunächst versagt worden war, stellte Barlis 06 der Behörde eine detaillierte Beschreibung der entsprechenden Umsätze zur Verfügung. Unter Bezugnahme auf diese zusätzliche Dokumentation kam der EuGH letztendlich zum Schluss, dass der Vorsteuerabzug bei formellen Fehlern hinsichtlich Art und Umfang bzw Leistungszeitpunkt dennoch zusteht, sofern der Leistungsempfänger das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nachweisen kann.

  • EuGH vom 15.9.2016, Rs Senatex, C-518/14

    „Senatex“, ein deutsches Textilunternehmen, machte aus bestimmten Rechnungen bzw erteilten Provisionsabrechnungen die Vorsteuern geltend. Jahre später wurden im Rahmen einer behördlichen Prüfung die betreffenden Vorsteuerbeträge versagt, zumal die UID-Nummer des Leistungserbringers fehlte. Obwohl Senatex daraufhin die fraglichen Rechnungen umgehend berichtigen ließ, wurde der Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung von der zuständigen Finanzverwaltung weiterhin versagt bzw erst mit Vorliegen der berichtigten Rechnung gewährt (ex nunc). Demgegenüber vertrat der EuGH in diesem Fall die Auffassung, dass der Vorsteuerabzug rückwirkend zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zusteht (also ex tunc), da bereits damals alle materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen. 

Rückwirkung und Säumnisfolgen 

Die vom EuGH bestätigte Rückwirkung (Vorsteuerabzug ex tunc) im Falle von bestimmten Rechnungsberichtigungen führt zwangsläufig auch zur Frage von damit zusammenhängenden negativen Säumnisfolgen. In Deutschland wurde eine Rechnungsberichtigung bisher nur ex nunc berücksichtigt und führte das sohin erst verspätet entstehende Recht zum Vorsteuerabzug im Berichtigungszeitpunkt zu entsprechenden Säumnisfolgen (Zinsen iHv 6 % pa gemäß § 238 AO). Das aktuelle EuGH-Urteil sollte daher ein Ende der bisher verhängten Säumniszinsen für ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland bedeuten, da der Vorsteuerabzug bereits vor der Berichtigung, nämlich ab dem Rechnungsausstellungsdatum (Eingangsstempel!), zusteht. In Österreich war es bereits bisher gängige Verwaltungspraxis, dass in Fällen einer nachträglichen Ergänzung der UID keine Säumniszuschläge verhängt wurden (vgl Rz 1555 UStR). 

Künftige Verwaltungspraxis in Österreich  

  • Neuerungen im UStR-Wartungserlass 2016

    Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Barlis 06 soll bereits im Wartungserlass 2016 zu den USt-Richtlinien berücksichtigt werden (dzt noch Begutachtungsentwurf): Demgemäß berechtigt eine Rechnung mit unzureichender Leistungsbeschreibung (Rz 1508) bzw unzureichender Angabe des Zeitpunkts der Lieferung/Leistung (Rz 1511) dann zum Vorsteuerabzug, „[…] wenn die Behörde aus vom Leistungsempfänger beigebrachten Unterlagen über alle notwendigen Informationen verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts vorliegen.“  

  • Meinungen aus der Finanzverwaltung

    Aussagen von Vertretern der Finanzverwaltung ist allerdings zu entnehmen, dass die Berücksichtigung der EuGH-Urteile in der Praxis durchaus restriktiver erfolgen dürfte, als die „entgegenkommende“ Gangart des EuGH dies vermuten ließe. So seien etwa als „[…] vom Leistungsempfänger beigebrachten Unterlagen […]“ im Sinne des Erlassentwurfs nach Auffassung dieser BMF-Experten ausschließlich Belege anzuerkennen. Weiters wird gefordert, dass die Beweiswürdigung äußerst strikt gehandhabt werden solle. Insbesondere würden bloße Eigenbelege wie etwa Lieferscheine oder Geschäftskorrespondenz nicht als taugliche Unterlagen erachtet, zumal diese eine nicht ausreichende Verbindung zum Leistungserbringer aufweisen würden. 

Sonderproblem Vorsteuerabzug im Vergütungsverfahren 

In Verbindung mit der Vorsteuererstattung im Wege von Vergütungsverfahren stellt sich die Situation als zweischneidiges Schwert dar: Denn es ist grundsätzlich nicht möglich, einen Vergütungsantrag auf Basis einer fehlerhaften Rechnung zum Leistungszeitpunkt (Rechnungsausstellungszeitpunkt) zu stellen. Andererseits wäre es aufgrund der nunmehr vom EuGH bestätigten ex tunc-Wirkung des Vorsteuerabzugsrechts aber auch nicht möglich, eine fehlerhafte Rechnung eines vergangenen Erstattungszeitraums (Ausschlussfrist!) durch eine Berichtigung in einem späteren Erstattungszeitraum geltend zu machen. Wahrscheinlich wird in derartigen Fällen wohl nur ein Storno der Rechnung und sodann eine Neuaustellung Abhilfe schaffen können, zumal hiedurch die Rückwirkung durchbrochen wird. Fraglich bleibt freilich, inwieweit eine Stornierung und Neuausstellung in allen Fällen durchführbar ist. 

Zusammenfassende Empfehlungen

Angesichts der obigen Ausführungen wird man sich in der Praxis wohl auch weiterhin nicht einfach auf die Wirkung der erwähnten EuGH-Urteile verlassen wollen. Die angekündigte restriktive Behandlung dieser Thematik seitens der österreichischen Finanzverwaltung läßt arbeitsintensive Prüfungs- bzw Rechtsmittelverfahren zur Sanierung derartiger Problemfälle befürchten. In Österreich scheinen speziell die Anforderungen der Belegnachweise an die strikte Beweiswürdigung noch einer Klarstellung zu bedürfen. Wenngleich die aktuellen Urteile grundsätzlich klärende Wirkung in Bezug auf den Vorsteuerabzug von fehlerhaften Rechnungen haben sollten, wird es auch weiterhin oberste Prämisse sein, Rechnungen von vornherein richtig auszustellen bzw fehler- bzw mangelhafte Eingangsrechnungen umgehend korrigieren zu lassen. Der EuGH hat zwar mit den Urteilen zu Barlis 06 & Senatex auf den ersten Blick positive Veränderungen angezeigt, dennoch hinterlassen die schwierige praktische Umsetzung und Unklarheiten im Vorsteuererstattungsverfahren einen schalen Beigeschmack. 

Für weitere Fragen zu dieser Thematik stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen ExpertInnen des ICON-Umsatzsteuerteams gerne zur Verfügung. 

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