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EU-UMSATZSTEUER | EuGH-Rechtsprechung versus „Quick Fixes“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) zeigte sich in seiner bisherigen umsatzsteuerlichen Rechtsprechung sehr tatsachenbezogen und bezieht sich in seiner Urteilsfindung immer wieder auf die objektive Beweislage, wodurch formelle Kriterien beispielsweise die Steuerfreiheit eines Umsatzes nicht in Frage stellen können, sofern die materiellen Voraussetzungen erfüllt wurden. Insofern werden Mitgliedstaaten, die EU-Recht zu ihrem Vorteil zu interpretieren bzw Besteuerungsansätze mit strengen Formvorschriften zu rechtfertigen versuchen, vom EuGH regelmäßig in die Schranken gewiesen. Wenngleich die bisherigen Urteile des EuGH als Höchstgericht grundsätzlich in Stein gemeißelt sind, so könnten sie - bedingt durch diverse Änderungen der MwStSySt-RL - in Zukunft an Bedeutung verlieren oder sogar obsolet werden. Mit derartigen Richtlinienänderungen wird die Europäische Kommission gleichsam als Korrektiv zum EuGH tätig. Im nachfolgenden Beitrag soll dieses Spannungsverhältnis der Institutionen sowie die künftigen Auswirkungen auf die Unternehmer infolge der mit 1.1.2020 in Kraft tretenden „Quick Fixes“ dargestellt werden. 

Bedeutung von Formalia in der EuGH-Rechtsprechung 

Soweit der EuGH mit der Beurteilung der Frage konfrontiert wurde, inwieweit grundlegende Rechte, die für einen funktionierenden Binnenmarkt essenziell sind, aufgrund von bloß formalen Mängeln bei Umsatzgeschäften beschnitten werden dürfen, sprach sich das Höchstgericht häufig dagegen aus. Bei näherer Betrachtung der Rechtsprechung vermag diese teilweise fast den Eindruck zu vermitteln, dass Formalerfordernisse überhaupt ohne Bedeutung seien, solange ein Steuertatbestand faktisch erfüllt wird. Selbst die Löschung der UID-Nummer des Empfängers einer innergemeinschaftlichen Lieferung dürfe laut EuGH nicht zur Versagung der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung führen, wenn der faktische Liefertatbestand als erfüllt gilt. Das Vorliegen einer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer stellt bisweilen keine materielle Voraussetzung für eine innergemeinschaftliche Lieferung dar. Wenngleich hier darauf hinzuweisen ist, dass die UID-Nummer schon bisher für die korrekte Meldung der innergemeinschaftlichen Lieferung im Rahmen der Zusammenfassenden Meldung zwingend erforderlich war. 

Eine derartige Entwicklung entspricht nicht den Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten. Dies ist durchaus verständlich, da aufgrund formaler Angaben die Nachvollziehbarkeit bzw Plausibilisierung von Umsätzen erleichtert wird. Um formalen Voraussetzungen wieder mehr Bedeutung beizumessen, wurden diese Anliegen seitens der Europäischen Kommission im Rahmen der vorgeschlagenen Änderung der Richtlinie berücksichtigt. Die praktische Umsetzung findet im Rahmen der sog. „Quick Fixes“ statt: 

Richtlinienänderung durch Quick Fixes ab 1.1.2020 

Über die sog. „Quick Fixes“ haben wir im Rahmen unseres Newsletters bereits mehrfach berichtet (vgl etwa den NL-Beitrag „UMSATZSTEUER |Neues EU-MwSt-System – „Quick Fixes“ ab 1.1.2020“ vom 12.10.2018). 

Ab 1. Jänner 2020 ist nunmehr die Angabe der korrekten UID-Nummer des Leistungsempfängers in der Zusammenfassenden Meldung eine materielle Voraussetzung für die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Die korrekte UID-Nummer muss zuvor dem Vertragspartner schriftlich mitgeteilt werden. 

Durch die Quick Fixes wird gewissen formellen Kriterien für einen Steuertatbestand, wie beispielsweise eben die Verwendung einer korrekten UID-Nummer, ein materiell-rechtlicher Status verliehen. Die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung kann daher künftig mangels Vorliegens einer gültigen UID-Nummer versagt werden, was bisher durch den EuGH ausgeschlossen wurde. 

Der Belegnachweis wird in seiner Eigenschaft als formales Beweismittel nun auch als materielle Voraussetzung für die Steuerfreiheit eingesetzt und durch die Quick Fixes europaweit standardisiert. Demnach ist mit Beginn des Jahres 2020 jeder Unternehmer verpflichtet, anhand von mehreren Dokumenten die grenzüberschreitende Warenbewegung nachzuweisen. 

Der neue Art 45a DVO 2018/1912 enthält eine Auflistung von Dokumenten, welche der Verkäufer vorweisen muss, um die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung in Anspruch nehmen zu können. Die Anwendung dieser Bestimmung wird jedoch viele Unternehmer vor eine große Herausforderung stellen. Zwar ist die Aufwertung von standardisierten Beweisen grundsätzlich zu begrüßen, da hiedurch eine einheitliche Belegnachweisführung geschaffen wird, faktisch ist die Erbringung der geforderten Nachweise aber insbesondere in Beförderungsfällen kaum möglich, was wiederum auch nicht im Interesse der Mitgliedstaaten sein kann. 

Um das Ziel der effektiven Kontrolle innergemeinschaftlicher Vorgänge (durch die Mitgliedstaaten) nicht zu konterkarieren, sollen bestehende nationale Regelungen zu Belegnachweisen für die Rechtfertigung einer Steuerfreiheit von bestimmten Umsätzen zusätzlich zur DVO in Geltung bleiben. Möglich ist daher, dass die Steuerfreiheit dann gewährt wird, wenn zumindest den Anforderungen nach dem bisherigen nationalen Recht entsprochen wird. Die effektive Handhabung in den einzelnen Mitgliedstaaten wird sich aber erst im Laufe des nächsten Jahres herauskristallisieren. 

Änderungen für Reihengeschäfte durch Quick Fixes 

Eine Reihe inhomogener Einzelfallentscheidungen zeigt die Notwendigkeit vereinheitlichter Bestimmungen für Reihengeschäfte. Durch die Änderungen im Rahmen der Quick Fixes wurde in einigen Punkten Klarheit geschaffen, jedoch konnten nicht alle offenen Fragen abschließend geklärt werden. 

Ein „Reihengeschäft“ liegt dann vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und der Gegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer zum letzten Abnehmer der Reihe gelangt. Aufgrund nur einer physischen Warenbewegung ist auch nur einebewegteLieferung gegeben, alle anderen Lieferungen sind als „ruhendeLieferungen anzusehen. 

Der Rahmen für ein Reihengeschäft wurde daher vom EuGH durch die laufende Rechtsprechung vorgegeben. Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten besteht aber mangels einer einheitlichen Richtlinienregelung insbesondere dabei, auf welcher Umsatzstufe in der Reihe die bewegte Lieferung anzusiedeln ist. Einerseits wird demjenigen Unternehmer die bewegte Lieferung zugewiesen, dem die Verfügungsmacht an dem Gegenstand verschafft wird. Andererseits wird beispielsweise in der österreichischen Rechtsprechung auf die Transportbeauftragung abgestellt. 

Die Neuregelung des Art 36a MwStSySt-RL besticht auf den ersten Blick durch eine simple „Grundregel – Ausnahme“ Konstellation. Demnach ist grundsätzlich die erste Lieferung bzw jene Lieferung, die an den transportbeauftragenden Unternehmer erbracht wird, stets die bewegte Lieferung. Ausnahmsweise kann ein Zwischenhändler die Zuordnung der bewegten Lieferung durch die Auswahl der UID-Nummer verlagern. Tritt der transportbeauftragende Zwischenhändler mit der UID-Nummer des Ursprungslandes gegenüber seinem Lieferanten auf, wird dadurch die Zuordnung der bewegten Lieferung geändert. Diese ist in solchen Fällen jene Lieferung, die der transportbeauftragende Zwischenhändler an seinen Auftraggeber erbringt. 

Ziel dieser neuen Bestimmung ist unter anderem die Verbesserung der Rechtssicherheit. Durch diese Regelung wurde viel erreicht, schließlich findet sich erstmals eine Definition des Reihengeschäfts in der MwStSySt-RL. Offen bleibt allerdings, wie das Kriterium der Transportbeauftragung in den einzelnen Mitgliedstaaten interpretiert wird. Darüber hinaus wird auf die Verschaffung der Verfügungsmacht überhaupt nicht eingegangen, obwohl dieses Kriterium bisher auch vom EuGH als das maßgebliche Beurteilungskriterium gesehen wurde. Erfolgt nämlich die Übertragung der Verfügungsmacht an den letzten Unternehmer, bevor die erste Lieferung erfolgt, kann die erste Lieferung nicht mehr steuerfrei sein, und zwar unabhängig davon, wer den Transport beauftragt hat. Es ist somit auch bei den in der MwStSyst-RL neu textierten Beurteilungskriterien und den bisher vom EuGH herangezogenen Bewertungsmaßstäben für die Auflösung eines Reihengeschäftes ein gewisses Spannungsverhältnis zu erkennen, wenngleich dies nicht ganz so offensichtlich ist. 

Zusammenfassung 

Unbestritten ist, dass seitens des EuGH der Fokus bisher auf materiellen Voraussetzungen lag und bloßen Formalia ein niedrigerer Stellenwert beigemessen wurde. Formale Merkmale sind jedoch erforderlich, um etwa Liefervorgänge zu plausibilisieren, sie ermöglichen somit die Kontrolle durch die Finanzbehörden der Mitgliedstaaten. Als korrigierende Maßnahme zu den Einzelfallentscheidungen des EuGH sind die formalen Kriterien nun durch die Einführung der Quick Fixes im Wege der EU-Richtlinie in einen unionsrechtlich verbindlichen Rahmen gegossen worden. In diesem Zusammenhang sei aber darauf hingewiesen, dass die Angabe der korrekten UID-Nummer in der Zusammenfassenden Meldung keine wirkliche Neuerung darstellt, zumal der Unternehmer auch bereits vor Einführung der Quick Fixes verpflichtet war und ist, die Meldung vollständig und richtig abzugeben. Faktisch werden daher die Anforderungen an die Unternehmer zum Teil nicht umfassender, sondern bloß „strenger“ gehandhabt. 

Bei den Reihengeschäften wird größtenteils die bisher aus der EuGH-Rechtsprechung entwickelte Praxis in eine einheitliche Richtlinienregelung gegossen. Ein Spannungsverhältnis ist jedoch gegeben, da die im neuen Art. 36a MwStSyst-RL maßgebliche Transportverantwortlichkeit nicht unbedingt mit dem vom EuGH vertretenen Beurteilungskriterium der Verschaffung der Verfügungsmacht konform gehen muss. 

Für die Unternehmer wird auch in Zukunft entscheidend sein, wie die gelebte Praxis sowohl bei den Nachweispflichten als auch bei der Beurteilung von Reihengeschäften in den einzelnen Mitgliedstaaten tatsächlich aussehen wird. 

Abschließend dürfen wir Sie auch noch auf den 8. ICON-Steuertag am 1.10.2019 in unserem Hause hinweisen, bei dem ua auch das Thema „Quick Fixes – Konsignationsläger ab 1.1.2020“ auf dem Programm steht. Nähere Infos finden Sie HIER!