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UKRAINE-KRIEG | Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung

Der seit 24.2.2022 tobende Ukraine-Krieg hat massive Auswirkungen auf weite Bereiche der Weltwirtschaft und beeinträchtigt daher auch viele Unternehmen in verschiedensten Branchen und Regionen, insbesondere auch in Österreich. Dies wirkt sich naturgemäß auch auf die Unternehmenswerte aus, sodass die ohnehin komplexen Unternehmensbewertungen derzeit mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Nunmehr hat die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer „fachliche Hinweise zu den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf Unternehmensbewertungen“ erarbeitet, die am 20.4.2022 beschlossen und sodann veröffentlicht wurden, und damit den mit solchen Bewertungen befassten Berufsangehörigen zumindest eine Orientierungshilfe zu den wesentlichen Aspekten in dieser besonderen Situation zur Verfügung gestellt. Die Kerninhalte dieser Veröffentlichung sollen im nachfolgenden Beitrag erläutert werden.

Der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 führte rasch zu erheblichen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und damit auf viele Unternehmen in verschiedensten Branchen. Einerseits können Unternehmen insofern (unmittelbar) vom Ukraine-Krieg betroffen sein, als sie etwa Geschäftsbeziehungen zur Ukraine und/oder Russland unterhielten oder zB in den betroffenen Ländern/Regionen in Form von Beteiligungen oder Niederlassungen investiert sind. Darüber hinaus sind Unternehmen insofern von der Krise betroffen, als sie mit Engpässen bei der Beschaffung von Rohstoffen, Beeinträchtigungen von Liefer- und/oder Absatzketten oder mit zum Teil erheblichen Preissteigerungen (insb. im Energiebereich) konfrontiert sind.

Wie auch in der nachfolgend präsentierten aktuellen Stellungnahme der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (KSW) zum Ukraine-Krieg einleitend hingewiesen wird, ist dieses Ereignis gewissermaßen durchaus vergleichbar mit dem seinerzeitigen Ausbruch der Corona-Pandemie, wofür am 15.4.2020 ebenfalls „fachliche Hinweise“ zur Unternehmensbewertung veröffentlicht worden waren (siehe dazu bereits unseren NL-Beitrag „CORONAVIRUS | Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung“ vom 6.5.2020).

In einer Aussendung vom 25. April 2022 hat die KSW nunmehr „Fachliche Hinweise der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zu den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf Unternehmensbewertungen“ (beschlossen vom Präsidium der KSW am 20. April 2022) veröffentlicht und in deren Einleitung darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Ausarbeitung der Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung des Fachsenats für Betriebswirtschaft formal um kein Fachgutachten bzw keine Empfehlung handelt, zumal aufgrund der Dringlichkeit und der außergewöhnlichen Situation nicht der gesamte zuständige Fachsenat befasst werden konnte und damit auch keine ordnungsgemäße Beschlussfassung möglich war. Diese auf dem Wissensstand per 5. April 2022 basierenden „fachlichen Hinweise“ einer Expertengruppe sind aber dennoch als wertvolle Grundlage für die österreichische Unternehmensbewertungspraxis bzw für die Beurteilung von Unternehmensbewertungen in dieser außergewöhnlichen Zeit anzusehen. 

Die vorliegenden fachlichen Hinweise befassen sich insbesondere mit den bewertungsrelevanten Themenbereichen Stichtagsprinzip (Bewertungsstichtage vor/nach Ausbruch des Ukraine-Krieges), finanzielle Überschüsse (bewertungsrelevante Zahlungsströme), Kapitalkosten und Multiplikatorverfahren (für Plausibilisierungszwecke) und sollen nachfolgend näher beleuchtet werden:

 

Stichtagsprinzip

 

Ähnlich wie für Zwecke der Jahresabschlussaufstellung (vgl zur diesbezüglichen AFRAC-Fachinformation vom April 2022 bereits unseren NL-Beitrag „BILANZIERUNG | Die UKRAINE-Krise im Jahres- und Konzernabschluss“ vom 24.4.2022) ist das „Stichtagsprinzip“ grundsätzlich auch in der Unternehmensbewertung zu beachten. Allerdings bestehen wesentliche Unterschiede im Bereich der zu berücksichtigenden Informationen, zumal für Zwecke der Bilanzierung das sog. „Wertaufhellungsprinzip“ gebietet, unter bestimmten Voraussetzungen auch die erst zwischen Bilanzstichtag und Bilanzaufstellung bekannt gewordenen Informationen (betreffend die bis zum Bilanzstichtag eingetretenen Ereignisse) noch zu berücksichtigen, während für Zwecke der Unternehmensbewertung auf den zum Bewertungsstichtag verfügbaren Informationsstand – bei angemessener Sorgfalt – abzustellen ist: 

Nach dem für Unternehmensbewertungen in Österreich maßgeblichen Fachgutachten (KFS/BW 1) sind Unternehmenswerte stets zeitpunktbezogen und somit für einen bestimmten Bewertungsstichtag festzustellen (Stichtagsprinzip gemäß KFS/BW1, Rz 23). Bewertungsstichtag ist jener Zeitpunkt, für den der Wert eines Unternehmens ermittelt wird. Alle für die Bewertung relevanten Informationen, die bei angemessener Sorgfalt (bis) zum Bewertungsstichtag hätten erlangt werden können, sind zu berücksichtigen. Wertbeeinflussende Umstände, die zwischen dem Bewertungsstichtag und dem Abschluss der Bewertung eintreten, sind hingegen nur dann zu berücksichtigen, wenn ihre Wurzel vor dem Bewertungsstichtag liegt. Für den Unternehmenswert sind somit die Verhältnisse am Bewertungsstichtag maßgeblich.

Wie in den fachlichen Hinweisen der „Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung“ betont wird, reicht es für eine Berücksichtigung von Entwicklungen nach dem Bewertungsstichtag jedoch NICHT aus, wenn sich „eine irgendwie geartete Kausalkette bis vor den Stichtag zurückverfolgen lässt“. Vielmehr müssten diese späteren Entwicklungen zum Bewertungsstichtag bereits „in der Wurzel“ angelegt sein, um in die Unternehmensbewertung einzufließen.

Nach Ansicht der Arbeitsgruppe waren die Konsequenzen, die sich aus dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 ergaben, für Bewertungsstichtage bis zum 23. Februar 2022 NICHT erkennbar. Somit sind die damit verbundenen Auswirkungen bei Bewertungen bis dahin noch nicht zu berücksichtigen. Sollten Bewertungen auf Stichtage vor dem 24. Februar 2022 jedoch erst nach Veröffentlichung der gegenständlichen fachlichen Hinweise abgeschlossen werden, ist im Bericht zur Unternehmensbewertung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Auswirkungen des Ukraine-Krieges aufgrund des Stichtagsprinzips noch nicht berücksichtigt wurden.

Für Bewertungsstichtage nach dem 23. Februar 2022 sind die zu erwartenden Auswirkungen des Ukraine-Krieges im Rahmen der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen. Wie die Arbeitsgruppe betont, gilt das für gesamtwirtschaftliche bzw. globale Auswirkungen gleichermaßen wie für länderspezifische und einfallspezifische Auswirkungen. Wie bereits erwähnt, sind die Auswirkungen auf zukünftige finanzielle Überschüsse des bewertungsgegenständlichen Unternehmens grundsätzlich in jenem Umfang zu berücksichtigen, der sich auf Basis des zum Bewertungsstichtag bei angemessener Sorgfalt zu erlangenden Informationsstandes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten ließ. Darauf sowie auch auf die Erkennbarkeit der maßgeblichen Umstände ist im Bericht einzugehen.

 

Finanzielle Überschüsse

 

Sofern der Ukraine-Krieg Auswirkungen auf das zu bewertende Unternehmen hat, sind diese im Rahmen der bewertungsrelevanten Zahlungsströme (finanzielle Überschüsse) zu erfassen. Naturgemäß ist die Einschätzung solche Risiken sehr schwierig und mit großer Unsicherheit behaftet. Die Arbeitsgruppe empfiehlt daher die Entwicklung unterschiedlicher Szenarien, die mit Eintrittswahrscheinlichkeiten verknüpft werden. Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf zu bewertende Unternehmen können unmittelbar oder mittelbar sein:

Wie bereits einleitend erwähnt, können sich unmittelbare Auswirkungen daraus ergeben, dass das Unternehmen Investitionen in Form von Beteiligungen oder Betriebsstätten bzw Niederlassungen in der Ukraine und/oder in Russland getätigt oder in diesen Regionen wesentliche Beschaffungs- oder Absatzmärkte hat (zB daraus resultierende Produktions- bzw Absatzausfälle, Zahlungsausfälle, Zerstörung von Vermögenswerten).

Mittelbare Auswirkungen auf zu bewertende Unternehmen könnten sich insbesondere auf Grund von Preissteigerungen bei zu beschaffenden Gütern (Rohstoffe und Energie) oder infolge von Engpässen auf den Beschaffungsmärkten ergeben (durch Beeinträchtigung von Lieferketten, Inflationswirkungen, Zinsen- und Wechselkursentwicklung).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den der Bewertung zugrunde gelegten Planungsrechnungen zu (Detailplanungsphase – Grobplanungsphase – Rentenphase), die sorgfältig zu plausibilisieren und erforderlichenfalls an die maßgeblichen Verhältnisse anzupassen sind (hingegen dürfen Unsicherheiten aufgrund mangelhafter Planungsrechnungen weder durch pauschale Abschläge auf die diskontierten finanziellen Überschüsse noch durch Zuschläge auf den Diskontierungszinssatz „berücksichtigt“ werden!).

 

Kapitalkosten

 

Im Rahmen der Ermittlung der Kapitalkosten ist auch zu beurteilen, inwieweit sich der Ukraine-Krieg auf die Renditeerwartungen der Eigen- und Fremdkapitalgeber auswirken kann.

In diesem Zusammenhang weist die Arbeitsgruppe darauf hin, dass sich die mit Kriegsbeginn zunächst eingetretenen Kurskorrekturen ganz erheblich auf die impliziten Marktrenditen auswirkten, die jedoch ab Mitte März 2022 wieder deutlich gesunken sind. Der kurzfristige Anstieg der Marktrenditen wird vor allem damit erklärt, dass die mit dem Krieg verbundenen Auswirkungen auf die Ertragserwartungen von Analysten erst zeitverzögert an die geänderten Rahmenbedingungen angepasst wurden.

Ab Mitte März d. J. lassen sich hingegen keine erhöhten Renditeerwartungen  gegenüber dem Vorkrisenniveau mehr ableiten. Betont wird allerdings, dass die Volatilität auf den Aktienmärkten noch immer deutlich erhöht ist.

Vor diesem Hintergrund hält die Arbeitsgruppe dennoch an Ihrer bisherigen Empfehlung fest, sich bei der Festlegung der Marktrisikoprämie an der Bandbreite für die erwartete nominelle Marktrendite zwischen 7,5 % und 9 % (vor persönlichen Steuern) zu orientieren (vgl KFS/BW 1, E 7).

Bei Schätzung der künftigen Betafaktoren auf Grundlage historischer Daten ist laut Arbeitsgruppe zu beachten, dass der ab 24. Februar 2022 eingetretene Kursverfall häufig zu Verzerrungen führt. Es wird daher empfohlen, bei Ermittlung der Betafaktoren den betreffenden Zeitraum aus der Analyse auszuklammern.

 

Multiplikatorverfahren

 

Die Arbeitsgruppe äußert sich im Rahmen ihrer fachlichen Hinweise auch zu den Multiplikatorverfahren (zB Umsatz-Multiples, EBIT-Multiples etc). Dies deshalb, weil diese Multiplikatorverfahren nach dem Fachgutachten KFS/BW 1 zur Plausibilisierung von Bewertungsergebnissen heranzuziehen sind.

Die Arbeitsgruppe weist darauf hin, dass sich Auswirkungen des Ukraine-Krieges sowohl im Hinblick auf die Bezugsgrößen als auch auf die Multiplikatoren selbst ergeben können. Werden Multiplikatoren auf Grundlage von Daten aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg ermittelt, ist zu beurteilen, inwieweit sie noch anwendbar sind. Dabei ist insbesondere auch zu bedenken, dass die Aussagekraft des Datenmaterials ggfs bereits durch die COVID-19-Krise eingeschränkt wurde.

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FAZIT

 

Werden Unternehmensbewertungen auf Stichtage nach Beginn des Ukraine-Krieges durchgeführt, so ist zu prüfen, inwieweit sich diese Umstände auf das zu bewertende Unternehmen auswirken können. Bei der Bewertung ist das Stichtagsprinzip zu beachten, wobei als maßgeblicher Stichtag für die Berücksichtigung von Kriegsauswirkungen der 24. Februar 2022 angesehen wird (Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine). Wenngleich Unternehmensbewertungen häufig auf dem Datenmaterial verfügbarer Jahresabschlüsse basieren bzw der Bewertungsstichtag mitunter einem Bilanzstichtag entspricht, sind dennoch wesentliche Unterschiede hinsichtlich der zu berücksichtigenden Informationen zu beachten, zumal das bilanzrechtliche Wertaufhellungsprinzip für die Unternehmensbewertung keine Gültigkeit hat.

Auswirkungen des Ukraine-Krieges können sich vor allem auf die Prognose der bewertungsrelevanten Zahlungsströme (finanzielle Überschüsse) ergeben. Laut den nunmehr vorliegenden „fachlichen Hinweisen“ der Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung der KSW vom 20.4.2022 sollte dem Umstand der mit der Krise verbundenen erhöhten Unsicherheit mit Szenarien und damit verbundenen Eintrittswahrscheinlichkeiten begegnet werden.

Bei Ermittlung der Kapitalkosten ist vor allem abzuschätzen, inwieweit sich die aktuelle Krise auf die Betafaktoren auswirken kann.

Für weitere Fragen zu diesem Themenkomplex steht Ihnen unser Bewertungsexperte Mag. Gerhard Heidrich, Head der Service Line „Mergers & Acquisitions​​​​​​​“, gerne zur Verfügung!