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BETRIEBSSTÄTTEN | VwGH setzt der HOMEOFFICE-Betriebsstätte ein Ende!

In seinem Beschluss vom 22.6.2022, Ro 2020/13/0004-7, hat sich der österreichische Verwaltungsgerichtshof mit der Frage der Begründung einer inländischen Betriebsstätte bzw einer festen (Geschäfts-)Einrichtung im Sinne des österreichisch-ungarischen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA-Ungarn, BGBl 1976/62) durch eine in Ungarn ansässige Diplom-Übersetzerin und Dolmetscherin auseinandergesetzt. Darin kam das Höchstgericht zu dem Ergebnis, dass das bloße Mitbenutzungsrecht an Einrichtungen, die von einem anderen Steuerpflichtigen zur Verfügung gestellt werden, nicht ausreichend ist, um eine feste Geschäftseinrichtung im DBA-rechtlichen Sinne zu begründen. Es spricht Vieles dafür, dass der VwGH damit auch der Diskussion um „Homeoffice-Betriebsstätten“ in Österreich eine Absage erteilt hat.
 

Der zugrunde liegende Sachverhalt


Im Verfahren vor dem VwGH ging es um eine in Ungarn ansässige Person, die in den Jahren 2013 bis 2016 in Österreich als Übersetzerin und Dolmetscherin tätig war und für diese Jahre – unter Ausübung der Option zur unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 4 EStG – Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt hatte.

Nach den Angaben der ungarischen Dolmetscherin habe sie in den Räumlichkeiten ihres Auftraggebers dessen Büroinfrastruktur (Schreibtisch, Laptop) mitbenutzen können, um für ungarische Staatsangehörige Sprachdienstleistungen zu erbringen und diese beim Behördenverkehr in Österreich zu unterstützen. Als weitere Anlaufstelle wurde ein im Bibliotheksgebäude einer Gemeinde angemietetes Büro angegeben, das allerdings über keine Büroausstattung verfügt hatte. Weshalb die Dolmetscherin den Bestand eines österreichischen Nexus in Form einer Inlandsbetriebsstätte anstreben wollte, ist weder dem Vorerkenntnis des Bundesfinanzgerichts (BFG 20.2.2020, RV/7102485/2019)  noch der Entscheidung des VwGH zu entnehmen.

Nachdem das Finanzamt (FA Bruck-Eisenstadt-Oberwart) im Jahr 2017 die Einkommensteuer für die Jahre 2015 und 2016 zunächst erklärungsgemäß festgesetzt hatte, wurden im Jahr 2018 die Anträge auf Veranlagung der Einkommensteuer für die Jahre 2013 und 2014 abgewiesen und die vorangegangenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2015 und 2016 gemäß § 299 BAO wieder aufgehoben. Begründet wurde dies damit, dass nach mehrmaliger Nachschau durch die Finanzpolizei an den von der Dolmetscherin angegebenen Geschäftsadressen keine die abkommensrechtlichen Voraussetzungen einer Betriebsstätte iSd Art. 5 DBA-Ungarn bzw festen Einrichtung iSd Art. 14 DBA-Ungarn erfüllenden Geschäftseinrichtungen sondern lediglich „Briefkastenfirmen“ feststellbar waren.

Dagegen richtete sich die Beschwerde an das BFG und die gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zugelassene Revision beim VwGH. Wenngleich der VwGH lediglich einen Zurückweisungsbeschluss gegen die Revision gefasst hatte, findet sich darin dennoch eine wesentliche Aussage zu den für die Begründung einer Betriebsstätte relevanten abkommensrechtlichen Aspekten.
 

Beschränkte Steuerpflicht in Österreich?


Aufgrund der Erhebungen der Finanzpolizei ist das Finanzamt davon ausgegangen, dass die Dolmetscherin gar nicht in Österreich tätig geworden ist, sondern tatsächlich in Ungarn gearbeitet hatte und mangels Ausübung oder Verwertung ihrer Arbeit im Inland gemäß § 99 Abs. 1 Z 2 iVm § 22 Z 1 lit b sechster TS EStG gar keine beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte aus selbständiger Arbeit vorliegen würden. Weder BFG noch VwGH haben sich jedoch mit der primär zu beantworteten Frage einer Steuerpflicht nach nationalem Recht auseinandergesetzt, sondern ausschließlich mit der Zuordnung des Besteuerungsrechts auf Grundlage des DBA-Ungarn.

 

Betriebsstättengewinne oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit?​​​​​​​


​​​​​​​​​​​​​​Der Frage, ob die von der Dolmetscherin erzielten Einkünfte als „Unternehmensgewinne“ dem Art. 7 iVm Art. 5 DBA-Ungarn oder als Einkünfte aus einemfreien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Tätigkeit ähnlicher Art dem Art. 14 DBA-Ungarn zuzuordnen sind, wurde weder vom BFG noch vom VwGH eine Bedeutung beigemessen. Denn für das Vorliegen einer „Betriebsstätte iSd Art. 5 DBA-Ungarn und einer „festen Einrichtung“ iSd Art. 14 DBA-Ungarn würden idente Voraussetzungen gelten. Begründet wurde dies damit, dass im Zuge des Update 2000 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) die Verteilungsnorm für selbständige Arbeit in Art. 14 OECD-MA gestrichen worden ist bzw letztlich in Art. 7 OECD-MA übernommen wurde. Deshalb wurde der im Zuge des Verfahrens umfangreich behandelten Frage der richtigen Verteilungsnorm vom VwGH keine gesonderte Bedeutung beigemessen. Nachdem das Höchstgericht bereits mehrfach ausgesprochen hatte, dass der in Art. 14 OECD-MA idF vor dem Update 2000 verwendete Begriff der „festen Einrichtung“ mit dem Begriff der – als Anknüpfungspunkt für die Zuteilung von Unternehmensgewinnen dienende Art. 7 DBA-Ungarn dienenden – „Betriebsstätte“ iSd Art. 5 DBA-Ungarn inhaltsgleich und im selben Sinne auszulegen ist, hat es sich in weiterer Folge nur noch mit der Interpretation des Begriffs der „festen Geschäftseinrichtung“ iSd Art. 5 Abs. 1 DBA-Ungarn auseinandergesetzt.

 

Verfügungsmacht nach bisheriger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis


​​​​​​​Wenngleich das Tatbestandsmerkmal derVerfügungsmacht“ in der Betriebsstättendefinition nicht ausdrücklich genannt ist, dient es nach den Ausführungen im Kommentar zu Art. 5 OECD-MA (OECD-MK) als Bindeglied zwischen der Geschäftseinrichtung und dem Dienen der Einrichtung für unternehmerische Zwecke. Für den Bestand einer Betriebsstätte soll es demnach ausreichend sein, wenn der Unternehmer Verfügungsmacht über einen bestimmten Platz hat, der sich auch in den Geschäftsräumen eines anderen Unternehmens befinden kann (Abs. 10 OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA). Eines förmlichen Nutzungsrechts bedarf es nicht. Der Unternehmer muss auch nicht exklusiv über eine Einrichtung verfügen können, solange darin über einen längeren Zeitraum unternehmerische Tätigkeiten ausgeübt werden. Sporadische und gelegentliche Tätigkeiten sollen jedoch keine Betriebsstätte begründen (Abs. 12 OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA).

Die Rechtsprechung des VwGH hat sich bislang nur selten mit der Auslegung des abkommensrechtlichen Betriebstättenbegriffs im Allgemeinen und der Verfügungsmacht im Besonderen auseinandergesetzt. In der Mitbenutzung eines Schreibtisches durch einen in Spanien ansässigen Geschäftsführer hatte das Höchstgericht keine Betriebsstätte erkannt (VwGH 25.11.1992, 91/13/0144), sehr wohl aber in der Bereitstellung von Büroräumen an ein schweizerisches Unternehmensberatungsunternehmen durch ihren österreichischen Auftraggeber, und zwar trotz untergeordneter Mitbenutzung durch das beratene Unternehmen selbst (VwGH 21.5.1997, 96/14/0084). Auch die einem in der Schweiz ansässigen Agraringenieur zur Verfügung gestellte Scheune wurde als Betriebsstätte qualifiziert (VwGH 18.3.2004, 2000/15/0118).

Die deutsche Rechtsprechung stellt an das Tatbestandsmerkmal der Verfügungsmacht deutlich strengere Anforderungen, indem dort vorausgesetzt wird, dass der Unternehmer eine Rechtsposition innehaben muss, die ihm ohne seine Mitwirkung nicht ohne Weiteres entzogen werden kann oder die ohne seine Mitwirkung nicht ohne Weiteres verändert werden kann und die sich auf bestimmte Räume beziehen muss (BFH 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl II 1993, 462). Es muss dem Unternehmer jedenfalls möglich sein, andere von der Nutzung der Einrichtung auszuschließen, ohne dass diese dies verhindern könnten (BFH 25.5.2000, III R 20/97, BStBl II 2001, 365). Die bloße tatsächliche Mitbenutzung ist nach Ansicht des BFH weder nach innerstaatlichem noch nach Abkommensrecht für die Begründung einer Betriebsstätte ausreichend (BFH 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl II 1990, 166). Zudem bedarf es einer zumindest allgemein-rechtlichen Absicherung einer nicht nur vorübergehenden, unbestrittenen Verfügungsmacht des Unternehmens über die Einrichtung (BFH 23.5.2002 – II R 8/00, BStBl II 2002, 512).

Nach österreichischer Verwaltungspraxis bedarf der Bestand einer festen Geschäftseinrichtung der dauerhaften Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes (EAS 3384), der sich auch in einem Großraumbüro befinden kann (EAS 1969). Es wird darauf abgestellt, dass dem Unternehmen die Verfügungsmacht in einer solchen Intensität zukommen muss, die es ihm erlaubt, andere von der Nutzung auszuschließen (EAS 2535). In Einzelfällen wurde vom BMF auch die Nutzungsintensität als Kriterium herangezogen (EAS 2830). Die der betrieblichen Tätigkeit dienende Funktion der festen Einrichtung erfordert eine organisatorische Verfestigung, zeitliche Dauerhaftigkeit und eine über die bloße Mitbenutzung hinausgehende Verfügungsmacht. Unter Hinweis auf die oa Rechtsprechung des deutschen BFH verweist das österreichische BMF darauf, dass Verfügungsmacht voraussetzt, dass der Verfügungsberechtigte eine Rechtsposition innehat, die ihm ohne seine Mitwirkung nicht mehr entzogen werden bzw ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne Weiteres verändert werden kann. Die bloße Mitbenutzung eines Raumes begründe demnach für sich genommen KEINE Betriebsstätte bzw wäre umgekehrt eine nur untergeordnete Mitbenutzung durch Andere für die Annahme einer Betriebsstätte unschädlich (EAS 3391). Ist das Kriterium der Verfügungsmacht erfüllt, ist es nicht erforderlich, dass die feste Geschäftseinrichtung dauerhaft genutzt wird. Bloßes Tätigwerdenin den Räumen eines Vertragspartners würde hingegen NICHT ausreichen, selbst wenn die Tätigkeit über mehrere Jahre hinweg erbracht wird (EAS 3089).

 

​​​​​​​​​​​​​​OECD und Verwaltungspraxis zur Homeoffice-Betriebsstätte

 

Infolge der - COVID-19-bedingt – vielen Arbeitnehmern eingeräumten Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, hat in grenzüberschreitenden Fällen die Frage nach dem Bestehen einer sog. „Homeoffice-Betriebsstätte“ besondere Bedeutung gewonnen. Das für die Begründung einer Betriebsstätte in Form einer festen Geschäftseinrichtung iSd Art. 5 Abs. 1 OECD-MA notwendige Kriterium der Verfügungsmacht ist dabei von besonderer Relevanz. Der - vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie verfasste - OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA geht davon aus, dass eine Homeoffice-Betriebsstätte die Ausnahme sein sollte, weil die von zu Hause aus durchgeführten Arbeiten idR als vorbereitende und Hilfstätigkeiten iSd Art. 5 Abs. 4 OECD-MA zu qualifizieren seien. Nur wenn der Unternehmer von seinem Arbeitnehmer verlangen würde, von seiner Wohnstätte aus zu arbeiten und ihm kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird, könne das Homeoffice als dem Unternehmen zur Verfügung stehend angesehen werden (Abs. 18 OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA). Wenn es der Unternehmer seinem Arbeitnehmer hingegen freistellt, seine Arbeit in den eigenen vier Wänden zu erledigen, könne keine Homeoffice-Betriebsstätte unterstellt werden (Abs 19 OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA). Das Abstellen auf ein „Verlangen“ ist unverständlich und kann zu völlig willkürlichen Ergebnissen führen.

In Zusammenhang mit COVID-19 hat sich die OECD auf die Aussage beschränkt, dass der ausnahmsweise und zeitlich begrenzte pandemiebedingte Wechsel des Arbeitsortes vom üblichen Arbeitsplatz ins Homeoffice keine Betriebsstätte begründen soll (OECD-Leitlinien zu DBA und COVID-19). Auf „digitales Nomadentum“ als eine neue Form der Arbeitsorganisation ging die OECD bisher allerdings nicht ein.

Das österreichische BMF hat in Einzelerledigungen zur Frage der Begründung von Homeoffice-Betriebsstätten die „faktische Verfügungsmacht“ im Sinne einer „effektiven Nutzungsmöglichkeit“ des Unternehmens als für die Annahme einer Betriebsstätte ausreichend befunden (EAS 3392). Auch die Nutzungsintensität wurde als Kriterium herangezogen und zB bei mehr als 25 %iger (EAS 3323), jedenfalls aber bei 50 %iger Arbeit im Homeoffice (EAS 3415) eine Betriebsstätte unterstellt. Dabei soll auch die bloße Mitbenutzungsmöglichkeit für die Begründung einer festen Einrichtung ausreichend sein (EAS 3391).

Siehe zu dieser Thematik auch bereits unseren NL-Beitrag DBA-RECHT | Betriebsstätte durch Homeoffice-Tätigkeiten im Konzern? vom 20.10.2021.

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VwGH setzt der Homeoffice-Betriebsstätte ein Ende


​​​​​​​Der VwGH hat mit seinem oa Beschluss vom 22.6.2022, Ro 2020/13/0004-7, wonach „…die Möglichkeit der Mitbenutzung eines Schreibtisches in den Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen nicht ausreichend [ist], um die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung zu bejahen…“ wohl auch der Homeoffice-Betriebsstätte eine deutliche Absage erteilt. Denn ein Arbeitgeber-Unternehmen kann – wenn überhaupt – lediglich ein Mitbenutzungsrecht am Arbeitsplatz seines Arbeitnehmers haben, der sich etwa am Küchentisch, im Wohnzimmer oder auch auf der Terrasse befinden kann. Ob der Arbeitnehmer die Tätigkeit im Homeoffice selbst verlangt hat oder wie viel Zeit er dort verbringt, ist unseres Erachtens folglich nicht entscheidungsrelevant. Für eine weder aus dem OECD-MK noch aus der Rechtsprechung ableitbare „faktische Verfügungsmacht“ bleibt kein Raum. Ungeachtet dessen kann der Unternehmer ohnehin weder „faktisch“ über die privaten Räumlichkeiten des Arbeitnehmers verfügen noch eine „effektive Verfügungs- bzw Nutzungsmacht“ erwerben. Dies lässt auch Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht zu, wonach jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens und seiner Wohnung hat.

 

FAZIT


​​​​​​​Der VwGH bestätigte in einer aktuellen Entscheidung vom Juni 2022 die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung und die auch im Schrifttum vertretene Auslegung des für die Begründung von Betriebsstätten relevanten Kriteriums der Verfügungsmacht. Auf Grundlage der höchstgerichtlichen Ausführungen dürfte es für die Finanzverwaltung in Österreich schwierig sein, ausländischen Unternehmen inländische „Homeoffice-Betriebsstätten“ zu unterstellen. Denn eine bloße Mitbenutzungsmöglichkeit von Einrichtungen ist NICHT ausreichend, um eine feste Geschäftseinrichtung iSd Art. 5 OECD-MA zu begründen. Eine ähnlich restriktive Haltung nimmt auch die Rechtsprechung und Verwaltungspraxis in Deutschland ein.

Vertiefende Ausführungen zu diesem Themenbereich finden sich in dem im September 2022 in der Fachzeitschrift SWI, Seiten 436 ff, publizierten Aufsatz von Bendlinger/Bendlinger, Der VwGH zur Verfügungsmacht und das jähe Ende der Homeoffice-Betriebsstätte​​​.

Nachdem es aber auf internationaler Ebene bislang keine belastbaren Aussagen zum Tatbestandsmerkmal der Verfügungsmacht in Zusammenhang mit Homeoffice-Tätigkeiten gibt – etwa in Form einer Aussage im OECD-MK -   ist nicht auszuschließen, dass Finanzverwaltungen in anderen Ländern bei grenzüberschreitend tätigen „digitalen Nomaden“ eine andere Rechtsansicht vertreten und für sich Besteuerungsrechte in Anspruch nehmen könnten.

Für Fragen zur Betriebsstättenbesteuerung im Allgemeinen und zu steuerlichen Themen rund um Tätigkeiten im Homeoffice im Besonderen stehen Ihnen die Verfasser dieses Beitrages sowie auch die übrigen Experten unserer  Service Line „International Tax“​​​​​​​ gerne zur Verfügung.