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UMSATZSTEUER | Verzinsung für verspätete Steuergutschriften?

Pesendorfer-Fischerleitner Michaela  |  Pesendorfer-Fischerleitner (in Karenz) Michaela  |  Platzer Günther

Mit EuGH-Urteil vom 12.5.2021, C-844/19 „CS und technoRent International GmbH“, sprach sich der Europäische Gerichtshof zu den vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegten zwei Fällen klar dahingehend aus, dass im Falle einer nicht binnen angemessener Frist erfolgenden Erstattung von Umsatzsteuerguthaben ein etwaiger finanzieller Verlust durch Zahlung entsprechender Verzugszinsen zu vergüten ist. Dies entspreche dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in der Unternehmerkette, welcher den Art. 183 und Art 90 RL 2006/112/EG innewohnt. Die EU-Mitgliedstaaten haben daher Sorge zu tragen, dass das innerstaatliche Recht unionsrechtskonform ausgelegt wird, was in Zusammenhang mit der Rückzahlung von Vorsteuerüberhängen faktisch bereits zu einem Zinsenanspruch nach Ablauf einer Frist von 45 Tagen führen kann.

EuGH-Urteil „CS und technoRent International GmbH“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich in seiner Entscheidung vom 12.5.2021, C-844/19 - aufgrund eines vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof (VwGH) eingereichten Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV - mit der Frage zu beschäftigen, ob eine verspätete Festsetzung von Umsatzsteuergutschriften (Rückzahlung bzw Verrechnung) zu verzinsen ist. Ausgangspunkte für das Vorabentscheidungsersuchen waren Art. 183 RL 2006/112/EG (Vorsteuerüberschuss) und Art. 90 Abs. 1 RL 2006/112/EG (Verminderung der USt-Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts).

Nach der vorangegangenen höchstgerichtlichen Judikatur des EuGH ist das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Art. 167 ff RL 2006/112/EG integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und darf grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Dem steuerpflichtigen Unternehmer muss es unter angemessenen Bedingungen möglich sein, den gesamten Vorsteuerüberschuss zu erlangen, was impliziert, dass die Erstattung innerhalb einer angemessenen Frist zu erfolgen hat. Dem Steuerpflichtigen darf hiebei keinesfalls ein finanzielles Risiko entstehen.

Nach der Vorjudikatur des EuGH würde, wenn ein Vorsteuerüberschuss nicht innerhalb angemessener Frist ausbezahlt wird und diesfalls kein Anspruch auf Verzugszinsen zustünde, eine negative Beeinträchtigung des Steuerpflichtigen eintreten, die gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstieße. Dieser Grundsatz verlangt daher - auch wenn Art. 183 RL 2006/112/EG keine explizite Pflicht zur Zinsenzahlung vorsieht - dass etwaige finanzielle Verluste, bedingt durch eine unangemessene Verzögerung im Rahmen der Steuererstattung, durch die Zahlung von Verzugszinsen ausgeglichen werden.

In Anlehnung an das EuGH-Urteil vom 12.5.2011 (C-107/10, Enel Maritsa Iztok 3 AD, Rz 61) geht das Höchstgericht davon aus, dass eine Frist von 45 Tagen als angemessen anzusehen ist und somit im Einklang mit Art. 183 RL 2006/112/EG steht.

In der gegenständlichen Vorabentscheidung vom 12.5.2021 (C-844/19) an den österreichischen VwGH hat der EuGH schließlich wie folgt für Recht erkannt:

„Art. 90 Abs. 1 und Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass eine Erstattung, die sich aus einer Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt, ebenso wie eine Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 dieser Richtlinie zu verzinsen ist, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt. Dem vorlegenden Gericht obliegt es, alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu tun, um die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts sicherzustellen.“

Aktuelle Rechtslage in Österreich

Wie auch der VwGH in seiner Vorlage an den EuGH ausgeführt hatte, enthält das österreichische Abgabenrecht keine allgemeine Regelung über die Verzinsung von Abgabenguthaben. Gemäß § 205 BAO gibt es zwar Anspruchszinsen, jedoch nur im Bereich der Ertragsteuern (ESt und KöSt). Und gemäß § 205a BAO können Beschwerdezinsen nur für solche bereits entrichteten Abgaben beantragt werden, die im Zuge der Erledigung einer Bescheidbeschwerde nachträglich herabgesetzt werden.

Im Unterschied zu diesen beiden gesetzlichen Regelungsbereichen in der Bundesabgabenordnung wird in der „Verordnung des Bundesministers für Finanzen, mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer geschaffen wird“ (VO BGBl 1995/279 idF BGBl ll  2021/16) und die auf Grundlage des § 21 Abs 9 UStG erlassen wurde, ein expliziter Rechtsanspruch auf Zinsen bei verspäteter Auszahlung von Vorsteuerguthaben im Rahmen der sog. „isolierten Vorsteuerrückerstattungsverfahren normiert.

Verordnung zur Vorsteuererstattung an ausländische Unternehmer

Beantragt ein im EU-Binnenmarkt ansässiger Unternehmer die Rückerstattung von in Österreich angefallenen Vorsteuern, so hat grundsätzlich eine Auszahlung binnen vier Monaten zu erfolgen. Lediglich aufgrund von Aufforderungen zur Beibringung weiterer Informationen darf sich diese Auszahlungsfrist auf maximal acht Monate verlängern. Wird die Erstattung durch die österreichische Finanzverwaltung nicht fristgerecht vorgenommen, hat der Antragsteller einen Anspruch auf „Säumnisabgeltung“, sofern er seinerseits die vorgegebenen Fristen eingehalten hatte.

Dieser Anspruch auf Erstattung wird in Art. 170 RL 2006/112/EG geregelt, wobei die Verfahrensdurchführung in der Richtlinie 2008/9/EG normiert ist. Diese EU-Richtlinie wurde in Österreich im Verordnungswege umgesetzt (eben in der VO BGBl 1995/279 idgF) und berücksichtigt insbesondere auch das vom EuGH immer wieder betonte immanente Recht auf Vorsteuerabzug iSd Art. 167 ff RL 2006/112/EG und den damit einhergehenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität.

Im Unterschied zu einem (registrierungsbedingten) Veranlagungsverfahren ist im Rückerstattungsverfahren - unter Berücksichtigung von Art. 26 der Richtline 2008/9/EG – somit ein expliziter Rechtsanspruch auf Säumnisabgeltung geregelt und wurde hiebei auch die Angemessenheit der Frist klargestellt. Dieser systembedingte Rechtsanspruch, den der EuGH auch im aktuellen Urteil voraussetzt, ist somit einheitlich für alle EU-Mitgliedstaaten geregelt, was dazu führt, dass die Verzinsung von verspäteten Auszahlungen grundsätzlich immer amtswegig erfolgt und somit keine negative Beeinträchtigung des umsatzsteuerpflichtigen Unternehmers bedingen kann.

Ausländische Unternehmer, die Vorsteuerbeträge im isolierten Vorsteuererstattungsverfahren beantragen, haben daher durch eine klare gesetzliche Regelung einen „gesicherten“ Rechtsanspruch auf Zinszahlungen und sind somit insoweit in einer vorteilhafteren Position gegenüber umsatzsteuerlich registrierten Unternehmern, welche die Rückzahlung von Vorsteuerüberhängen im Rahmen von Veranlagungsverfahren geltend zu machen haben.

Anspruchszinsen gemäß § 205 BAO

Für Abgaben im Bereich des österreichischen Ertragsteuerrechts (Einkommensteuer und Körperschaftsteuer) sieht  § 205 BAO die Geltendmachung von sog. „Anspruchszinsen“ vor, für die Umsatzsteuer hingegen nicht. Die Nichtanwendung des § 205 BAO auf die Umsatzsteuer wird jedoch in der Lehre kritisiert (siehe beispielsweise Tanzer im BAO-Handbuch 2015). Die Begründung, dass bislang nur die Einkommen- sowie die Körperschaftsteuer von der gesetzlichen Anspruchsverzinsung umfasst sind, liegt darin, dass die Verzögerungen von Steuernachzahlungen durch möglichst späte Einreichung von ESt- und KöSt-Erklärungen bei den Ertragsteuern budgetär am meisten ins Gewicht fallen und dem mittels Anspruchsverzinsung ab 1. Oktober des Folgejahres – allerdings sowohl für Steuernachzahlungen als auch für -guthaben - begegnet werden soll  (vgl Materialien zum BudBG 2001, BGBl I 2002/84). Diese Begründung bzw Einschränkung erscheint angesichts der zahlreichen EuGH-Entscheidungen zu Umsatzsteuerguthaben wohl nicht mehr ganz zeitgemäß.

Die EuGH-Rechtsprechung enthielt bereits zuvor einschlägige Judikate (vgl zB EuGH vom 18.4.2013, Rs C-565/11, Mariana Irmie), in welchen mehrfach darauf hingewiesen wird, dass es der Effektivitätsgrundsatz verlange, dass das Recht auf Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben auch das Recht auf Zinsen enthält. Gerade im Judikat Mariana Irmie wird auch auf ältere EuGH-Entscheidungen verwiesen, welche sich auf die Umsatzsteuer beziehen.

Die vom Gesetzeswortlaut des § 205 BAO bislang nicht umfasste Umsatzsteuer bzw das Unterlassen einer analogen Anwendung dieser Gesetzesbestimmungen auch für Zwecke der Umsatzsteuer dürfte somit als eine nicht unionsrechtskonforme Vorgehensweise anzusehen sein.

Beschwerdezinsen gemäß § 205a BAO

Im Gegensatz zur Anspruchsverzinsung gemäß § 205 BAO enthält § 205a BAO betreffend Beschwerdezinsen grundsätzlich keine Einschränkung auf bestimmte Abgabenarten. Dem Gesetzeswortlaut nach wird vielmehr auf eine bereits entrichteteAbgabenschuldigkeit“ abgestellt (deren Höhe allerdings in Erledigung einer Bescheidbeschwerde herabgesetzt werden müßte, um eine Verzinsung beantragen zu können). Rein nach der offenen Formulierung des Gesetzeswortlauts steht somit auch einer Geltendmachung von Zinsen für eine Umsatzsteuergutschrift nichts entgegen.

Nach einer Entscheidung des Bundesfinanzgerichts (BFG vom 7.9.2018, RV/2100689/2014) wurde einem steuerpflichtigen Unternehmer bereits einmal der Ersatz des Zinsschadens nach § 205a BAO zugestanden, um der ständigen EuGH-Rechtsprechung Rechnung zu tragen, wonach es der Grundsatz der Neutralität erfordere, dass dem Steuerpflichtigen die Verluste ersetzt werden, die ihm durch eine nicht innerhalb angemessener Frist erfolgte Erstattung des Überschusses entstanden sind. Das BFG folgt in dieser Entscheidung der Ansicht von Beiser in RdW 2014/188, S. 168 ff, der sich bereits damals für die analoge Anwendung von § 205a BAO ausgesprochen hatte, um ein einseitiges Zinsenrisiko zu beseitigen. Diese Forderung einer analogen Anwendung der Beschwerdezinsenregelung nach § 205a BAO als unionsrechtlich gebotenen Ausgleich eines Verspätungsschadens im Sinne der Kostenneutralität der Umsatzsteuer wiederholte der Autor nunmehr auch vor dem Hintergrund des aktuellen EuGH-Urteils (vgl Beiser in SKW-Heft 16/2021, S. 905 f).

FAZIT

Der Rechtsanspruch auf Zinszahlungen für Mehrwertsteuerguthaben (aufgrund von Vorsteuerüberhang oder Verminderung der Umsatzsteuer) ist in Österreich bislang - mit Ausnahme der im Verordnungswege geregelten Erstattungsverfahren - gesetzlich nicht geklärt. Jedoch gibt es Stimmen für eine analoge Anwendung des § 205a BAO (Beschwerdezinsen), die darin einen unionskonformen Ausgleich für einen finanziellen Nachteil sehen.

Der EuGH sprach sich in seinem aktuellen Urteil vom 12.5.2021 (C-844/19), dem ein Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen VwGH zugrunde lag, nicht zum ersten Mal dahingehend aus, dass Zinszahlungen für überfällige USt-Guthaben aufgrund der Steuerneutralität der Mehrwertsteuer sehr wohl geboten sind. Es bleibt somit abzuwarten, wie der VwGH in weiterer Folge mit dieser Vorabentscheidung umgehen wird. Der österreichische Steuergesetzgeber hätte wohl einen Handlungsbedarf dahingehend, die diversen EuGH-Entscheidungen zu dieser Thematik auch in die österreichische Rechtsordnung einfließen zu lassen. Sollte keine gesetzliche Anpassung erfolgen, so sollte jedenfalls im Rechtsmittelwege versucht werden, unter Bezugnahme auf die einschlägige EuGH-Judikatur den systembedingten Rechtsanspruch auf Zinszahlungen für überfällige USt-Guthaben geltend zu machen. Die Erfolgschancen dürften angesichts der jüngsten Rechtsentwicklung jedenfalls gut stehen.

Sollten Sie Unterstützung bei der Lösung dieser oft recht komplexen Rechtsfragen benötigen, stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen ExpertInnen unserer Service Line "Indirect Tax & Customs"​​​​​​​ gerne zur Verfügung.