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URLAUBSVERJÄHRUNG | OGH statuiert Aufforderungs- und Hinweispflicht

Der OGH (OGH 27.06.2023, 8 ObA 23/23 z) folgt in seiner jüngsten Entscheidung den Ansichten des EuGH in Bezug auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Verjährung des Urlaubs.

Der EuGH hat, was den Verfall betrifft, wiederholt die Aussage getroffen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch tatsächlich in die Lage versetzen muss, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen.

In einem der kürzlich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschiedenen Fälle (EuGH C-120/21, LB, ECLI:EU:C:2022:718) wurde die spezifische Frage geklärt, ob der Verfall des Urlaubsanspruchs trotz des Verjährungstatbestandes eingeschränkt werden kann, wenn die Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt wurde.

Der EuGH hat seine bisherige Judikatur fortgeführt und eine Verjährung bei fehlender Mitwirkung verneint.

Rechtsquellen zum Urlaub im EU-Recht

Die unionsrechtlichen Regelungen zum Urlaub finden sich in der RL 2003/88 in Art 7 und in Art 31 Abs 2 der Grundrechtecharta (GRC).

Art 31 Abs 2 GRC regelt, dass jeder Arbeitnehmer ein Recht auf bezahlten Jahresurlaub hat.

Art 7 Abs 1 der RL 2003/88 regelt einen jährlichen bezahlten Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen. Diese vier Wochen stellen eine Mindestvorgabe dar. Die Mitgliedsstaaten können innerstaatliche Regelungen treffen, welche die Arbeitnehmer besserstellen. 

Der Urlaubsanspruch wird somit im EU-Recht vorwiegend in Art 7 der RL 2003/88 geregelt, welche den Anspruch gem Art 31 Abs 2 GRC konkretisiert. Aufgrund der geringen Regelungsdichte im EU-Recht bezüglich des Urlaubsbegriffs wird dieser wesentlich von der Rechtsprechung des EuGH beeinflusst.

Eine konkrete Verjährungs- oder Verfallsbestimmung ist im EU-Recht nicht verankert. Diese wurde durch die rechtfortbildende Kraft des EuGH statuiert.

Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts vor nationalem Recht müssen diese Vorgaben des EuGH auch von nationalen Gerichten befolgt und in ihren Urteilen berücksichtigt werden.

Mitwirkungsobliegenheit

Der EuGH hat bereits 2018 in der Rs Max-Planck (EuGH C-684/16, Max-Planck, ECLI:EU:C:2018:874) die Aufforderungs- und Hinweispflicht statuiert. In dieser Entscheidung urteilte der EuGH, dass Art 31 Abs 2 GRC und Art 7 RL 2003/88 einer Verjährung des Urlaubsanspruches entgegenstehen, wenn der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit hatte, den Urlaub zu verbrauchen.  Vielmehr hat der Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer den Urlaub verbrauchen kann. 

Konkret äußerte sich der EuGH wie folgt:

„[ ]ist der Arbeitgeber in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub [ ] verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm, damit sichergestellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird.“ (EuGH C-684/16, Max-Planck, ECLI:EU:C:2018:874, Rn 45).

Auswirkung der EuGH-Entscheidungen auf die Verjährung gem § 4 Abs 5 UrlG

Obwohl diese Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2018 deutsche Rechtsvorschriften betraf, wurde sie auch in Österreich ausführlich diskutiert. Schon damals wurden erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der bisherigen nationalen Rechtsprechung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen geäußert. Der OGH ging vorerst jedoch davon aus, dass die Verjährungsfrist gemäß § 4 Abs. 5 UrlG mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Die Argumentation des OGH lautete, dass Arbeitnehmern mit einer Frist von drei Jahren ausreichend Zeit zur Durchsetzung ihres Urlaubsanspruchs zur Verfügung stünde. Im Gegensatz dazu sieht das deutsche Recht vor, dass der Urlaub innerhalb eines Jahres verbraucht werden muss, bevor er verfällt.

In der nun jüngsten EuGH-Entscheidung in der Rs LB (EuGH 22.09.2022, C-120/21, LB, ECLI:EU:C:2022:718) hat der EuGH ausgesprochen, dass eine nationale Regelung, welche eine dreijährige Verjährungsfrist vorsieht, auch dann gegen Unionsrecht verstößt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch zu konsumieren.

Gem § 4 Abs 5 UrlG verjährt der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres in dem er entstanden ist. Für den tatsächlichen Verbrauch des Naturalurlaubs stehen damit insgesamt drei Jahre zur Verfügung.

Die der Entscheidung des EuGH in der Rs LB zugrunde liegende deutsche Rechtsvorschrift ähnelt sehr der österreichischen Verjährungsregelung im Urlaubsgesetz (UrlG). Daher führte der OGH aus:

“Aufgrund dieser Entscheidung des EuGH steht nunmehr fest, dass der unionsrechtlich gesicherte Urlaubsanspruch nicht verjähren kann, wenn der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweispflicht gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nachgekommen ist.” (OGH 27.06.2023, 8 ObA 23/23 z; Rn 13) 

Dementsprechend urteilte der OGH auch im aktuellen Judikat und erkannte die Verjährung des Urlaubs nicht an, da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer weder zum Urlaubsverbrauch aufgefordert, noch den Arbeitnehmer auf die drohende Verjährung hingewiesen hat.

Unionsrechtlicher Mindesturlaub und nationaler Zusatzurlaub

Das österreichische Urlaubsgesetz regelt einen Urlaubsanspruch von 5 Wochen, wobei sich das Urlaubsausmaß nach Vollendung des 25. Dienstjahres bei demselben Arbeitgeber auf 6 Wochen erhöht. Der unionsrechtliche Mindesturlaub beträgt jedoch lediglich vier Wochen.

Der EuGH (EuGH C-609/17 und C-610/17, TSN, ECLI:EU:C:2019:981, Rn 33f) hat bereits judiziert, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, einen bezahlten Jahresurlaub über den unionsrechtlichen Mindestanspruch von vier Wochen hinaus zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten dürfen auch über die Bedingungen für den zusätzlichen Urlaub entscheiden, ohne dabei an die Schutzregeln, welche der EuGH für den vierwöchigen Mindesturlaub hervorgebracht hat, gebunden zu sein. Zu beachten ist aber dennoch, dass der Mitgliedstaat durch die Gewährung und Festlegung der Bedingungen für einen höheren Anspruch nicht in den unionsrechtlich garantierten bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen eingreift.

Fest steht, dass die Mitwirkungsobliegenheit auf den unionsrechtlichen Urlaub von vier Wochen zur Anwendung kommt. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich jedoch nicht ausdrücklich dazu geäußert, ob diese Mitwirkungspflicht auch auf den darüber hinausgehenden Urlaubsanspruch nach nationalem Recht anwendbar ist. Diesbezüglich bleibt zu hoffen, dass der OGH dies in Zukunft noch klarstellen wird.

​​​​​​​Ausgestaltung der Aufforderungs- und Hinweispflicht

Eine konkrete Äußerung, wie eine Aufklärungspflicht im Detail beschaffen sein muss, um den unionsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, tätigte der EuGH bislang noch nicht. Offen ist vor allem die Form, der Zeitpunkt und wie häufig eine Aufklärung erfolgen muss.

Aus der oben angeführten Aussage des EuGH in der Rs Max-Planck (EuGH C-684/16, Max-Planck, ECLI:EU:C:2018:874) kann abgeleitet werden, wie eine Aufklärungspflicht - nach Ansicht des EuGH - vermutlich ausgestaltet werden soll.

Um den unionsrechtlichen Vorgaben zu genügen, sollte die Aufklärung folgende Punkte erfüllen:

  • Die Aufklärung muss die genaue Höhe des Urlaubsanspruches des jeweiligen Urlaubsjahres enthalten.
  • Auf noch nicht verbrauchte Urlaubstage aus vorangegangen Jahren sollte ebenso hingewiesen werden.
  • In der Aufklärung muss eine explizite Aufforderung, den offenen Urlaub zu verbrauchen, enthalten sein. 
  • Weiters muss auch darauf hingewiesen werden, dass der Urlaub verfällt, wenn dieser nicht beansprucht wird. Dabei soll auch das genaue Datum, zu welchem die Verjährung eintritt, angegeben werden.

In Bezug auf die Rechtzeitigkeit kann vermutet werden, dass die Aufklärung dann als rechtzeitig anzusehen ist, wenn es dem Arbeitnehmer auch zeitlich möglich ist, den noch offenen Urlaub vor dem Verfall zu konsumieren.

In der Literatur wird auch die Auffassung vertreten, dass bei der Berechnung der Mitwirkungsfrist des Arbeitnehmers ausreichend Zeit für die Urlaubsplanung des Arbeitnehmers berücksichtigt werden sollte. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Zeitraum zwischen der Mitteilung und dem Verfall des Urlaubs umso länger sein sollte, je mehr Urlaubsanspruch noch offen ist.

Um die Rechtzeitigkeit der Aufklärungspflicht sicherzustellen, wäre es empfehlenswert, jeweils am Beginn eines Urlaubsjahres den Arbeitnehmer entsprechend zu verständigen.

Eine rein formelle Aufforderung wird dazu nicht ausreichen. Der Arbeitnehmer muss auch in der Lage sein, den Urlaub zu verbrauchen. Daher ist der Arbeitgeber auch gefordert, die Möglichkeit dazu zu schaffen. Konkret werden hohe Arbeitsauslastung und/oder Urlaubssperren, welche den Urlaubsverbrauch faktisch unmöglich machen, trotz Erfüllung der Aufklärungspflicht, nicht genüge tun. Auch grundloses Ablehnen von Urlaubsanträgen würde wahrscheinlich der Mitwirkungsobliegenheit entgegen sprechen.

Auch abstrakte Aufforderungen, wie sie beispielsweise oft im Arbeitsvertrag, in Merkblättern oder kollektivvertraglichen Vereinbarungen/Betriebsvereinbarungen vorgesehen sind, werden nicht ausreichend sein, um der konkreten und transparenten Hinweispflicht nachzukommen, wie sie vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gefordert wird.

FAZIT

Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer nicht nur zur Inanspruchnahme des Urlaubs auffordern, sondern auch explizit auf die drohende Verjährung hinweisen. Geschieht dies nicht, beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen und der Arbeitnehmer kann auch den Urlaub aus weit mehr als 3 Jahren zurückliegenden Urlaubsjahren einfordern.

Darüber hinaus sollten auch vermeintlich bereits verjährte Urlaubsansprüche überprüft werden. Wenn kein Hinweis auf den Verfall gegeben wurde und dem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit verschafft wurde, den Urlaub zu verbrauchen, ist die Verjährungsfrist gem § 4 Abs 5 UrlG so lange gehemmt, bis dieser Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen wurde. Erst wenn die Hinweispflicht erfüllt wurde, beginnt die Verjährungsfrist zu laufen.