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INSOLVENZ | Neues Fachgutachten zur Zahlungsunfähigkeit

Insolvenz bezeichnet die Situation der Zahlungsunfähigkeit (Illiquidität) oder Überschuldung eines Unternehmens, bei deren Vorliegen die Eröffnung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens geboten ist. Eine diesbezügliche Säumnis der Unternehmensleitung kann den Schaden für die Gläubiger noch vergrößern und daher sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zu welchem Zeitpunkt aber tritt nun der ultimative, rechtsformunabhängige Insolvenzeröffnungsgrund Zahlungsunfähigkeit ein? Ein neues Fachgutachten der KSW befasst sich mit den wesentlichen Aspekten in diesem Zusammenhang und bereitet dazu die umfangreiche einschlägige OGH-Rechtsprechung zu dieser komplexen Thematik systematisch auf. 

Während die „Zahlungsunfähigkeit“ die Konkurseröffnung für alle Schuldner gebietet (§ 66 IO), ist dies für bestimmte Rechtsträger bzw Rechtsformen (nämlich juristische Personen, Gesellschaften ohne natürliche Personen als Vollhafter, Verlassenschaften) auch bei „Überschuldung“ der Fall (§ 67 IO).

Mit der vor allem in Zusammenhang mit Überschuldungssituationen sowie auch für die Rechnungslegung bedeutsamen Thematik der Unternehmensfortführung, wofür auch ein gesondertes Fachgutachten KFS/RL 28 „Unternehmensfortführung gemäß § 201 Abs. 2 Z 2 UGB“ veröffentlicht wurde, hatten wir uns im Rahmen unseres Newsletters bereits vor einiger Zeit beschäftigt (vgl NL-Beitrag „BILANZIERUNG | Annahme der Unternehmensfortführung“ vom 18.8.2018).

 

Im nachfolgenden Beitrag möchten wir Ihnen nun das neue Fachgutachten KFS/BW 7 zurZahlungsunfähigkeit“ des Fachsenats für Betriebswirtschaft der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, welches am 10.4.2019 beschlossen wurde und ab der Veröffentlichung anwendbar ist, überblicksweise darstellen:

Begriffsdefinitionen 

Zahlungsunfähigkeit“ ist nach der gesetzlichen Definition der Insolvenzordnung „insbesondere“ dann anzunehmen, „wenn der Schuldner seine Zahlungen einstellt“ (§ 66 Abs 2 IO). Nach der Lehre und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) liegt Zahlungsunfähigkeit iS § 66 IO dann vor, wenn der Schuldner mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann. Handelt es sich bei derartigen Liquiditätsproblemen lediglich um einen kurzfristigen Zustand, so spricht man von einer bloßen „Zahlungsstockung“. Die Auslegung des § 66 IO erfordert damit zunächst eine Auslegung der Stichtagsbetrachtung. Nur wenn eine Liquiditätslücke besteht, ist in einem zweiten Schritt das prognostische Element der zeitlichen Dauer zu prüfen. 

Fällige Schulden sind tatsächlich fällige Geldschulden zum jeweiligen Stichtag. Erst nach diesem Stichtag fällige Schulden sind in einem Finanzstatus nicht zu berücksichtigen (wohingegen sie in einen Finanzplan sehr wohl einzubeziehen wären). Wichtig ist das Tatbestandsmerkmal der „fälligen“ Schulden, für deren Beurteilung die tatsächliche Fälligkeit maßgeblich ist und nicht deren Verbuchung, Eintreibung etc. Gestundete Verbindlichkeiten sind bis zum Ablauf der Stundung noch nicht fällig.

Der OGH bejaht die Zahlungsunfähigkeit dann, wenn mehr als 5% aller fälligen Schulden nicht termingerecht beglichen werden können oder bei Überschreiten der 5% das baldige (Wieder-)Erreichen der vollen Zahlungsfähigkeit anhand eines Finanzplanes nicht dargelegt werden kann. 

Leistet ein Schuldner bei Gericht eine Anzeige hinsichtlich seiner Zahlungseinstellung, so gilt dies gemäß § 66 ff IO als Zahlungsunfähigkeit und als Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Zahlungseinstellung kann jedoch nicht nur vom Schuldner - ausdrücklich oder konkludent - erklärt werden, sondern ggfs auch aus Indizien geschlossen werden.  

Eine drohende Zahlungsunfähigkeit liegt indes vor, wenn sich bei aktuell noch gegebener Zahlungsfähigkeit in einer Finanzplanung für einen zukünftigen Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit abzeichnet, die voraussichtlich nicht abgewendet werden kann. 

Planung und Prüfung von Zahlungsunfähigkeit 

Die Planung erfolgt idealerweise als integrierte Erfolgs-, Vermögens- und Finanzplanung (Liquiditätsplanung). Hinsichtlich des Aufbaus der Finanzplanung sind alle zu erwartenden Zahlungsein- und -ausgänge zu erfassen. Ob eine quartalsweise oder gar eine geschäftstags- bzw zahlungsdispositionstaggenaue Planung zu erstellen ist, hängt vom Ausmaß der Über- bzw Unterdeckung der Zahlungsmittel ab. Der Finanzplan muss jedenfalls schlüssig, realistisch und nachvollziehbar sein. 

An jenem Geschäftstag, an welchem nicht (mehr) alle fälligen Zahlungen geleistet werden können, hat die Unternehmensleitung, insofern eine Finanzplanung vorliegt, zu prüfen, ob lediglich eine Zahlungsstockung gegeben ist oder andernfalls ein Finanzstatus zu erstellen ist. Dies bedeutet, dass das genaue Verhältnis der „bereitenZahlungsmittel zu den „fälligenSchulden ermittelt werden muss. Betragen die bereiten Zahlungsmittel mindestens 95% der fälligen Schulden, so darf von einer weiterhin gegebenen Zahlungsfähigkeit (bzw bloße Zahlungsstockung) ausgegangen werden. 

Liegt hingegen der geprüfte Verhältniswert unter 95%, so ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob mit einem bereits vorhandenen oder neu aufgestellten Finanzplan dokumentiert werden kann, dass die Liquiditätsprobleme nicht von Dauer sind und daher nur eine sog. „Zahlungsstockung“ vorliegt. Die Frist zur Behebung dieser Zahlungsstockung darf im „Durchschnittsfall“ drei Monate nicht übersteigen. Eine länger andauernde Frist (höchstens fünf Monate) setzt voraus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit der Beseitigung der Liquiditätsschwäche zu rechnen ist. Ist dies nicht möglich, tritt die Zahlungsunfähigkeit mit diesem Geschäftstag ein und muss die Unternehmensleitung daher „ohne schuldhaftes Zögern“, spätestens aber binnen sechzig Tagen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen (§ 69 IO).

 Unter „bereitenZahlungsmitteln versteht der OGH liquide Zahlungsmittel (Bargeld, Buchgeld, offene Kreditlinien etc) und/oder leicht und kurzfristig verwertbares Vermögen. Beim kurzfristig verwertbaren Vermögen ist wiederum die Stichtagsbetrachtung anzustellen, demnach sind (gedeckte) Schecks, Wechsel und kurzfristig veräußerbare Wertpapiere und Edelmetalle miteinzubeziehen, nicht aber andere Wertpapiere, Forderungen, Vorräte, Liegenschaften, Schmuck, Kunstwerke oder erst zu verhandelnde Kreditrahmen. Insofern können auch keine Bankguthaben im Ausland berücksichtigt werden, wenn der Transfer länger dauert bzw nicht möglich ist, genauso wenig wie verpfändete Wertpapiere, auch wenn diese an der Wiener Börse gehandelt würden. 

Erkennbarkeit und Konsequenzen drohender Zahlungsunfähigkeit 

Bei „drohender“ Zahlungsunfähigkeit müssen Kapitalgesellschaften und die übrigen von § 67 IO erfassten (eingangs erwähnten) Rechtsträger eine insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung vornehmen bzw die Fortbestehensprognose, bei deren Erstellung sie die drohende Zahlungsunfähigkeit erkannt haben, durch eine insolvenzrechtliche rechnerische Überschuldungsprüfung ergänzen (Vermögensstatus zu Liquidationswerten). Stellt die Unternehmensleitung fest, dass sich trotz des Ergreifens geeigneter Maßnahmen eine tatsächliche Zahlungsunfähigkeit abzeichnet, könnte sie ev. noch – rechtzeitig – von dem Recht Gebrauch machen, die Eröffnung eines Sanierungsverfahrens zu beantragen (§ 167 Abs 2 IO). Hingegen muss – um die Gläubiger nicht noch mehr zu schädigen - die Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedenfalls dann beantragt werden, wenn das vorhandene Nettovermögen geschmälert oder zusätzlich belastet würde. Es dürfen auch nur solche Verpflichtungen eingegangen werden, die VOR dem Eintreten der Insolvenzantragspflicht erfüllt werden können und diese nicht auslösen. 

FAZIT 

Zusammenfassend sei nochmals festgehalten, dass der OGH in ständiger Rechtsprechung die „Zahlungsunfähigkeit“ iSd § 66 IO dann als gegeben ansieht, wenn der Schuldner mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann, sodass also von keiner vorübergehenden „Zahlungsstockung“ mehr die Rede sein kann. 

Der obige Beitrag konnte freilich nur einen groben Überblick über die im neuen Fachgutachten KFS/BW 7 systematisch aufgebaute Rechtsprechungsanalyse und anschaulichen Beispiele geben. Dieses Fachgutachten stellt nicht nur für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater einen Leitfaden für ihre Mitwirkung bei Insolvenzszenarien dar, sondern kann auch Unternehmen wertvolle Hinweise bieten, die Situation im Hinblick auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit richtig einzuschätzen und die diesfalls gebotenen Maßnahmen zeitgerecht zu ergreifen. Wir empfehlen daher betroffenen Unternehmensleitungen, das Fachgutachten KFS/BW 7 „Zahlungsunfähigkeit“ bei Bedarf im Detail zu studieren: Hier finden Sie den LINK

 

Für weitere Fragen zu dieser Thematik stehen Ihnen die Verfasserinnen sowie gerne auch die übrigen Experten der ICON Service Line "AUDIT" zur Verfügung!