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UMSATZSTEUER | EuGH-Dauerbrenner "feste Niederlassung"

Zum Konstrukt der „festen Niederlassung“ im europäischen Mehrwertsteuerrecht landen auf Grund der hohen Praxisrelevanz (Leistungsortbestimmung, Steuerschuldnerschaft, verfahrensrechtliche Implikationen uvm) häufig Vorlagefragen beim europäischen Höchstgericht. Unlängst durfte sich der Europäische Gerichtshof daher zum wiederholten Male mit diesem Thema auseinandersetzen. Das aktuelle EuGH-Urteil vom 7.4.2022 in der Rs „Berlin Chemie“ (C-333/20) schafft nunmehr erfreulicherweise Klarheit hinsichtlich Stellung des in einer festen Niederlassung eingesetzten Personals. Welche Auswirkungen diese Entscheidung für die Rechtsanwender hat und welche Zweifelsfragen zur festen Niederlassung auch weiterhin offen bleiben, erfahren Sie im nachfolgenden Beitrag.


​​​​​​​Ausgangslage


​​​​​​​Unter welchen Voraussetzungen eine „feste Niederlassung“ im umsatzsteuerlichen Sinne begründet wird, regelt Art 11 VO (EU) 282/2011. In welcher Form und Ausprägung die gesetzlich vorgegebenen Merkmale vorliegen müssen und damit eine feste Niederlassung für Mehrwertsteuerzwecke zu unterstellen ist, ist jedoch in hohem Ausmaß von den konkreten Leistungen, die durch die potentielle feste Niederlassung erbracht oder empfangen werden, abhängig. So wird etwa das Betreiben eines Friseursalons eine andere Ausstattung benötigen als zB die Vermietung von PKWs. Die EuGH-Rechtsprechung zu diesem Themenbereich ist sehr kasuistisch, jedoch lassen sich daraus dennoch gewisse verallgemeinerungsfähige Grundvoraussetzungen an die Tatbestandsmerkmale ableiten.

Wie wir bereits in unserem NL-Beitrag UMSATZSTEUER | EuGH zu Zweifelsfragen der "festen Niederlassung" vom 15.6.2021 berichtet hatten, war bis zuletzt unklar, in welchem Rechtsverhältnis das Personal einer festen Niederlassung zum steuerpflichtigen Unternehmen stehen muss. Zudem stellt sich seit der Entscheidung in der Rs Dong Yang (EuGH 7.5.2020, C-547/18) die Frage, inwieweit auch Tochtergesellschaften eine feste Niederlassung ihrer Muttergesellschaft begründen können. Auch ist unklar, ob insbesondere für Zwecke der Leistungsortbestimmung bei B2B-Grundregeldienstleistungen rein passiv tätige feste Niederlassungen (bloße Leistungsempfänger) anerkannt werden.

 

EuGH-Urteil vom 7.4.2022, C-333/20, Berlin Chemie

 

Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren wurde eine in Rumänien ansässige Gesellschaft ausschließlich für ihre deutsche (Groß)muttergesellschaft tätig. Konkret erbringt die rumänische Gesellschaft Marketing-, Regulierungs-, Werbe- und Vertretungsdienstleistungen, die geeignet sind, unmittelbar das Absatzvolumen der Muttergesellschaft in Rumänien zu beeinflussen. Die deutsche Gesellschaft verfügte über einen beständigen Zugang/Zugriff zu den technischen und personellen Mitteln der rumänischen Gesellschaft. Deshalb sowie aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Tochtergesellschaft ging die rumänische Steuerverwaltung davon aus, dass die deutsche Gesellschaft eine feste Niederlassung in Rumänien (mittels ihrer Tochtergesellschaft) begründet hätte.
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​​​​​​​Entscheidung des EuGH

Im Ergebnis kommt der EuGH zu der Entscheidung, dass die rumänische Tochtergesellschaft im vorgelegten Fall keine feste Niederlassung der deutschen Gesellschaft begründete. Der Grund für diese Entscheidung liegt allerdings in den individuellen Gegebenheiten dieses Sachverhalts. Die Tochtergesellschaft erbringt nämlich Dienstleistungen unter Zuhilfenahme ihres eigenen Personals sowie ihrer Sachmittel an die deutsche Gesellschaft. Würde man eine feste Niederlassung der deutschen Gesellschaft auf Grund des Zugriffs auf die strukturellen Mittel der Tochtergesellschaft anerkennen, würden dieselben Personal- und Sachmittel einerseits als Leistender und andererseits als Leistungsempfänger agieren.

Bevor er zu diesem Ergebnis kommt, führt der EuGH jedoch aus, dass es für die Begründung einer festen Niederlassung grundsätzlich ausreicht, wenn ein ständiger und ununterbrochener Zugang zu den Sachmitteln in einer Form besteht, der vergleichbar mit dem Zugriff auf eigene Sachmittel ist. Dasselbe gelte auch für die Personalmittel.

 

Auswirkungen der EuGH-Entscheidung

 

Aus dieser aktuellen Entscheidung des EuGH folgt, dass Sachmittel nicht zwingend im Eigentum des Steuerpflichtigen sehen müssen bzw das Personal nicht mittels Dienstvertrag bei ihm angestellt sein muss, um eine feste Niederlassung zu begründen. Vielmehr steht der beständige/längerfristige Zugriff sowie die Kontrolle über Personal und Sachmittel im Vordergrund. Mit dieser Entscheidung schließt sich der EuGH ua der Meinung von GA Kokott in der Rs Welmory an. Und auch der deutsche Bundesfinanzhof hatte bereits im Jahr 2020 in dieser Form entschieden (siehe dazu unseren NL-Beitrag UMSATZSTEUER I BFH zur festen Niederlassung" vom 14.9.2020).

Hinsichtlich des Personals könnte die Kontrolle bspw durch entsprechende Weisungsrechte erreicht werden. Damit ausreichende Kontrolle besteht, muss das Personal Weisungen in Bezug auf Arbeitszeit, Arbeitsqualität und Output entgegennehmen und kein eigenes finanzielles Risiko tragen. Der Rückgriff auf fremde Dienstleister erfüllt dieses Kriterium hingegen nicht. Vielmehr muss die Stellung des Personals miteigenemPersonal vergleichbar sein.

Hinsichtlich der Sachmittel ist es notwendig, dass die Steuerpflichtigen adäquat über einen längeren Zeitraum hinweg darüber verfügen können. Dies könnte bspw durch längerfristige Mietverträge geregelt werden. Wichtig dabei ist, dass derartige Mietverträge nicht (zu) kurzfristig gekündigt werden können.

 

Offene Fragen

 

Weiterhin unklar ist, unter welchen Bedingungen die Anerkennung einer Tochtergesellschaft als feste Niederlassung nun tatsächlich erfolgen kann. Der EuGH hält fest, dass eine solche Einordnung vorgenommen werden kann, wenn die Kriterien des Art 11 DVO (EU) 282/2011 erfüllt werden. Jedoch stünde die Anerkennung von Tochtergesellschaften als feste Niederlassung im Widerspruch mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit von festen Niederlassungen, da diese ja gerade nicht als eigenständige Steuerpflichtige angesehen werden. Würde eine Tochtergesellschaft bspw nur bezogen auf bestimmte Leistungen als feste Niederlassung ihrer Muttergesellschaft eingestuft werden, wären diese Leistungen zwischen den Konzerngesellschaften nicht steuerbar. Bezogen auf die übrigen Leistungen wäre der Leistungsaustausch hingegen steuerbar. Diese Differenzierung erscheint in der Praxis daher kaum umsetzbar.

Auch schafft die Entscheidung keine Klarheit betreffend die Anerkennung rein passiv tätiger fester Niederlassungen. Deren Anerkennung hätte eine entsprechende Ausweitung des Konzepts der festen Niederlassung zur Folge. Mangels konkreter höchstgerichtlicher Aussagen könnten die einzelnen EU-Mitgliedstaaten diesbezüglich zu divergierenden Ansichten kommen, was potentielle Doppelbesteuerungsrisiken mit sich bringt.

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FAZIT

 

Schritt für Schritt klärt der EuGH also offene Zweifelsfragen zurfesten Niederlassung“. Im aktuellen Urteil in der Rs „Berlin Chemie“ konnte nunmehr die Frage um die Stellung des Personals sowie der Sachmittel einer Lösung zugeführt werden. Aufgrund der erheblichen umsatzsteuerlichen Praxisrelevanz fester Niederlassungen bei grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit sowie der noch ungeklärten Rechtsfragen ist davon auszugehen, dass diese Entscheidung nicht die letzte zu diesem Themenbereich bleiben wird.

Sollten Sie Fragen haben oder Unterstützung bei dieser oftmals recht komplexen steuerlichen Beurteilung benötigen, stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen ExpertInnen unserer Service Line "Indirect Tax & Customs" gerne zur Verfügung!
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