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VERFAHRENSRECHT | Erleichterte Akteneinsicht durch das AbgÄG 2022!

Das Recht auf Akteneinsicht steht - gemäß dem Grundrecht auf ein faires Verfahren - jeder Partei zu und bezieht sich dem Grunde nach auf alle Akten, welche die Behörde zum Zwecke der Beweissicherung anfertigt. Ausnahmen sind in der Regel für solche Schriftstücke vorgesehen, deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen Dritter bewirken würde. Die für Abgabensachen einschlägige Vorschrift in der Bundesabgabenordnung (§ 90 BAO) verlangte bisher, dass für die Gewährung einer Akteneinsicht die Kenntnis der begehrten Akten für die Geltendmachung oder Verteidigung abgabenrechtlicher Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten der Partei erforderlich sei. Aufgrund der nunmehrigen Novellierung dieser Rechtsnorm durch das Abgabenänderungsgesetz 2022 wird fortan lediglich noch vorausgesetzt, dass die von einer Partei begehrten Akten „ihre Sache“ betreffen müssen, sodass keine darüber hinausgehende Begründung für eine begehrte Akteineinsicht mehr erforderlich ist.

Im Rahmen des am 19.7.2022 im Bundesgesetzblatt kundgemachten Abgabenänderungsgesetzes 2022 (AbgÄG 2022 – BGBl I Nr. 108/2022) erfolgte ua eine Novellierung mehrerer Bestimmungen der Bundesabgabenordnung. Im Zuge dessen wurden auch die Regelungen zur Akteneinsicht gemäß § 90 BAO geändert:
 

Rechtsgrundlagen zur Akteneinsicht


Akteneinsicht im Abgabenverfahren

​​​​​​​§ 90 Abs 1 BAO idF AbgÄG 2022 normiert nunmehr, dass „die Abgabenbehörde […] den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile zu gestatten [hat].“ Die bisherige Einschränkung, wonach deren Kenntnisnahme zur Geltendmachung oder Verteidigung abgabenrechtlicher Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten der Partei erforderlich sein muss, ist damit entfallen.

Mangels gesonderter Inkrafttretensbestimmung ist die neue Textierung bereits mit Ablauf des Tages, an dem die Gesetzesänderung im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde, anzuwenden. Ein Antrag auf Akteneinsicht muss daher ab 20.7.2022 nicht mehr gesondert begründet werden.

Rechtsprechung zu § 90 BAO

Zur Stammfassung des § 90 BAO wurde in den erläuternden Bemerkungen zur seinerzeitigen Regierungsvorlage ausgeführt, diese Bestimmung entspräche jener des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG). Tatsächlich sah bzw sieht der betreffende § 17 AVG jedoch eine Einschränkung auf berechtigte Interessen der Partei NICHT vor. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hatte daher bereits mit Erkenntnis vom 30.03.1998 (VwSlg 7266 F/1998) ausgesprochen, dass eine einen Gleichklang mit § 17 Abs 1 AVG bewirkende Interpretation des § 90 Abs 1 BAO geboten sei. Es sei zudem kein Grund für eine Privilegierung der Finanzverwaltung gegenüber der allgemeinen staatlichen Verwaltung erkennbar. Der VwGH kam daher zu dem Ergebnis, dem Begehren der Partei auf Akteneinsicht, sei, wenn es ihre Sache betreffe und von den Ausnahmen gem. § 90 Abs 2 BAO abgesehen, unbeschränkt zu entsprechen.

Nichtsdestotrotz stellt die bislang geltende Richtlinienmeinung des Bundesministeriums für Finanzen (Erlass des BMF vom 05.11.2003, 05 0701/1-IV/5/0) zur Akteneinsicht im Abgabenverfahren nach wie vor auf die Geltendmachung abgabenrechtlicher Interessen ab. In einem neuerlichen Verfahren vor dem VwGH sah das Höchstgericht keine Veranlassung, von seiner damaligen Rechtsansicht abzugehen (VwGH 29.05.2018, Ro 2017/15/0021). Der betreffende BMF-Erlass blieb aber dennoch unverändert in Geltung. ​​​​​​​
 

Anlass für die Gesetzesänderung​​​​​​​


Mit der nunmehr erfolgten Änderung des § 90 BAO durch das AbgÄG 2022 kam es endlich zur legistischen Angleichung an § 17 Abs 1 AVG, wonach das Recht auf Akteneinsicht in eigener Sache unabhängig von einem (abgaben)rechtlichen Interesse zusteht. Nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum AbgÄG 2022 werde dadurch eine Rechtsunsicherheit beseitigt, weil es – entgegen der gesetzlichen Anordnung des § 90 Abs 1 BAO in der bisher geltenden Fassung – nach der Judikatur des VwGH für die Berechtigung des Antrages auf Akteneinsicht auf ein gesondertes abgabenrechtliches Interesse der Partei nicht ankommt (Erl RV 1534 BlgNR XXVII GP). Dies erscheint uE insofern bemerkenswert, als die höchstgerichtliche Rechtsprechung ja schon bisher im Interpretationswege hätte befolgt werden müssen. Die Erwägung des Gesetzgebers ist daher vermutlich dem Umstand geschuldet, dass die Finanzverwaltung das Recht auf Akteinsicht bislang entgegen der Rechtsprechung gelebt hat (vgl dazu den bereits zitierten BMF-Erlass zur Akteneinsicht, welcher seit 05.11.2003 unverändert in Geltung ist). Mit der nunmehr durch das AbgÄG 2022 erfolgten Novellierung des § 90 BAO ist der Anwendung dieses Erlasses wohl aber endgültig die Grundlage entzogen. Eine aktualisierte Neuveröffentlichung des Erlasses bleibt abzuwarten.

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Ausnahmen von der Akteneinsicht


​​​​​​​Wenngleich ein Begehren nach § 90 Abs 1 BAO nunmehr lediglich noch die „eigene Sache“ betreffen muss, ändern weder Rechtsprechung noch die erfolgte Gesetzesänderung etwas an den bestehenden Ausnahmen zur Akteneinsicht. So sind gemäß § 90 Abs 2 BAO Beratungsprotokolle, Amtsvorträge, Erledigungsentwürfe und sonstige Schriftstücke (Mitteilungen anderer Behörden, Meldungen, Berichte und dergleichen), deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen dritter Personen herbeiführen würde, von der Akteneinsicht ausgenommen. 

Im bereits zitierten Erkenntnis des VwGH vom 29.05.2018 hat dieser ebenfalls bestätigt, dass der Ausschluss von der Akteneinsicht betreffend Beratungsprotokolle, Amtsvorträge und Erledigungsentwürfe absolut gilt. Hinsichtlich derartiger Akten(teile) ist daher niemals Akteneinsicht zu gewähren. Der letzte Teilsatz des § 90 Abs 2 BAO (betreffend die Einschränkung bei Schädigung berechtigter Interessen Dritter) bezieht sich daher nur auf die „sonstigen Schriftstücke“ (relative Ausnahme von der Akteneinsicht).


Auswirkungen auf das Finanzstrafrecht?


 Keine Klarheit bringt die nunmehrige Gesetzesänderung allerdings im Hinblick auf die Akteneinsicht in Finanzstrafverfahren. Die diesbezüglich einschlägige Bestimmung im Finanzstrafgesetz (§ 79 FinStrG) stellt - nach wie vor - auf die erforderliche Kenntnis der Partei zur Geltendmachung oder Verteidigung finanzstrafrechtlicher oder abgabenrechtlicher Interessen oder zur Erfüllung solcher Pflichten ab. Anders als § 90 BAO erfuhr § 79 FinStrG durch das AbgÄG 2022 keine Novellierung.

In der Literatur wird dazu die berechtigte Frage gestellt, ob die Einschränkung des § 79 FinStrG durch die vorliegende Judikatur des VwGH zu § 90 BAO nicht ebenfalls als überholt anzusehen ist. Mit Sicherheit sagen lässt sich dies jedenfalls nicht, da die Rechtsprechung des VwGH zwar zu einer ähnlichen Thematik, jedoch zu einem anderen Gesetz ergangen ist (BAO vs FinStrG).

Darüber hinaus wird bei einer Akteneinsicht nach § 79 FinStrG auf das Vorhandensein von Interessen öffentlich-rechtlicher Natur abgestellt. Die beabsichtigte Geltendmachung von privaten Interessen (zB zivilrechtliche Schadenersatzansprüche) oder aber die Akteneinsicht zum Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung des Anzeigers wegen des Verdachts der Verleumdung, wird von der Behörde aus diesem Grund verweigert. 

Die fehlende Klarstellung für den Bereich des FinStrG ist insofern bedauerlich, als Parteien naturgemäß gerade in Finanzstrafsachen ein gesteigertes Interesse an einer Akteneinsicht haben.   
 

FAZIT


​​​​​​​Obwohl der VwGH zur Akteneinsicht im Abgabenverfahren längst für Recht erkannt hatte, dass es auf die Geltendmachung eines gesonderten abgabenrechtlichen Interesses nicht ankommt, wurde die Verwaltungspraxis dahingehend bislang nicht angepasst.

Mit dem AbgÄG 2022 hat der Gesetzgeber nun endlich der höchstgerichtlichen Rechtsprechung Rechnung getragen und den betreffenden § 90 BAO dahingehend novelliert, dass Einsicht und Abschriftnahme lediglich die „eigene Sache“ betreffen müssen. Ein Antrag auf Akteneinsicht nach § 90 BAO muss daher seit 20.7.2022 nicht mehr näher begründet werden.

Ungeklärt bleibt indes die Frage, inwieweit die Judikatur des VwGH auch auf das Recht auf Akteneinsicht im Finanzstrafverfahren Anwendung finden kann. Eine Novellierung des einschlägigen § 79 FinStrG wurde bis dato jedenfalls nicht vorgenommen. Das begründete Interesse an der Akteneinsicht wird für diesen Bereich daher bis auf Weiteres unverändert dargelegt werden müssen.

Sollten Sie weitere Fragen zu dieser Thematik haben, stehen Ihnen die Verfasser dieses Artikels mit der Service Line "Tax Controversy" ​​​​​​​jederzeit gerne zur Verfügung!