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WIRTSCHAFTSPRÜFUNG | Die Wesentlichkeit für den Jahresabschluss

Loy Judith

Ein zentraler Bestandteil bei Jahresabschlussprüfungen ist die Festlegung der Wesentlichkeitfür den prüfungsgegenständlichen Abschluss. Dies wirft nach wie vor zahlreiche Fragen auf. Wesentliche Hinweise finden sich im Prüfungsstandard ISA 320. Im Folgenden soll auf den Begriff, den Anwendungsbereich und die Festlegung der Wesentlichkeit im konkreten Prüfungsfall näher eingegangen werden. 

Begriffsbestimmung und Anwendungsbereich

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass mit dem Rechnungslegungs-Änderungsgesetz 2014 der Grundsatz der Wesentlichkeit auch explizit in die Rechnungslegungsvorschriften Eingang gefunden hat, wonach die Anforderungen an den Jahresabschluss hinsichtlich Darstellung und Offenlegung nicht erfüllt werden müssen, wenn die Wirkung ihrer Einhaltung „unwesentlich“ ist (Negativabgrenzung gemäß § 196a Abs 2 UGB idF RÄG 2014).

Eine im für die Abschlussprüfung maßgeblichen Regelwerk der „International Standards on Auditing“ (ISA) enthaltene Erläuterung der Wesentlichkeit, bezogen auf die Rechnungslegung, liefert der Standard ISA 320 (betreffend die Wesentlichkeit bei der Planung und Durchführung einer Abschlussprüfung). Hierin wird allgemein ausgeführt, dass eine falsche bzw fehlende Darstellung dann wesentlich ist, wenn erwartet werden kann, dass sie einzeln oder in Summe die auf der Grundlage des Abschlusses getroffenen Entscheidungen von Abschlussadressaten beeinflussen können.

Der Abschlussprüfer hat den Grundsatz der Wesentlichkeit bei der Festlegung der Art, des zeitlichen Ablaufs und Umfangs der Prüfungshandlungen und bei der Entscheidung über die Auswirkungen von festgestellten Fehlern im Abschluss und im Lagebericht auf den Bestätigungsvermerk und das Prüfungsurteil zu beachten. Somit ist das Wesentlichkeitskonzept nicht nur in der Prüfungsplanung und –durchführung, sondern auch in der Urteilsbildung entscheidend.

Die im Zuge der Abschlussprüfung festgelegte Wesentlichkeit ist der Höhe nach nicht zwangsläufig ein bestimmter Betrag, unter welchem nicht berichtigte falsche Darstellungen, einzeln oder in Verbindung mit anderen, prinzipiell als unwesentlich anzusehen sind. Die mit den falschen Darstellungen verbundenen Umstände können den Abschlussprüfer dazu veranlassen, die betreffenden Angaben dennoch als wesentlich zu beurteilen, obwohl sie betraglich unterhalb der Wesentlichkeitsgrenze liegen. Denn der Abschlussprüfer berücksichtigt nicht nur das Ausmaß der fehlerhaften, nicht berichtigten Darstellungen, sondern auch die Art und Umstände ihres Eintretens.

Festlegung der Wesentlichkeit

Die Bestimmung der Wesentlichkeit durch den Abschlussprüfer unterliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen und wird von seiner Wahrnehmung und Einschätzung der Finanzinformationsbedürfnisse der Abschlussadressaten beeinflusst. Bei der Festlegung der Prüfungsstrategie muss der Abschlussprüfer die Wesentlichkeit im Hinblick auf den gesamten Abschluss bestimmen. Sofern sich die Einschätzungen der Wesentlichkeit im Laufe der Prüfung verändern, ist dies vom Abschlussprüfer ebenfalls zu berücksichtigen.

Häufig wird für die Berechnung der Wesentlichkeit für den Abschluss als Ganzes ein Prozentsatz auf eine bestimmte Bezugsgröße angewendet. Bezugsgrößen, die je nach Gegebenheit des Unternehmens geeignet sein können, sind beispielsweise der Gewinn vor Steuern, die Gesamterlöse, der Bruttogewinn, die Gesamtaufwendungen, das Eigenkapital oder der Nettovermögenswert. In der Praxis wird Ergebnisgrößen (zB Gewinn vor Steuern) eindeutig der Vorzug gegeben, jedoch sind auch alternative Größen (zB Bilanzsumme und Umsatzerlöse) anwendbar. Auf die Auswahl von Bezugsgrößen können unterschiedliche Faktoren einen Einfluss haben, etwa die folgenden: 

  • Bestandteile des Abschlusses (Vermögenswerte, Schulden, Eigenkapital etc)
  • Posten, auf die sich die Aufmerksamkeit der Abschlussadressaten bezieht
  • Art, Branche, Lebenszyklus, wirtschaftliches Umfeld des Unternehmens
  • Eigentumsverhältnisse und Art der Finanzierung
  • relative Volatilität der Bezugsgröße;

Die Wesentlichkeit bezieht sich auf den Abschluss, für den der Abschlussprüfer einen Bestätigungsvermerk erteilt. Beträgt der Rechnungslegungszeitraum mehr oder weniger als zwölf Monate (zB bei Rumpfgeschäftsjahren, Änderung des Rechnungslegungszeitraums), so bezieht sich die Wesentlichkeit auf diesen Zeitraum.

Die Festlegung des Prozentsatzes liegt ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Abschlussprüfers und ist von der gewählten Bezugsgröße abhängig. Daraus folgt, dass etwa auf die Bezugsgröße „Gewinn vor Steuern aus der laufenden Geschäftstätigkeit“ in der Regel ein höherer Prozentsatz angewendet wird als zB auf die „Gesamterlöse“. Je nach den konkreten Gegebenheiten können jedoch auch niedrigere oder höhere Prozentsätze für angemessen erachtet werden.

Nach Bertl/Fröhlich1) werden in der Praxis für die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze häufig folgende Maßgrößen herangezogen: 

  • 5 % - 10 % des Periodenergebnisses vor Steuern
  • 0,5 % - 1 % der Bilanzsumme
  • 1 % - 5 % des Eigenkapitals
  • 0,5 % - 1 % der Umsatzerlöse 

Zusammenfassung

Das Konzept der „Wesentlichkeit“ begleitet im Bereich der Abschlussprüfung die gesamte Prüfungsplanung und –durchführung und unterstützt somit den risikoorientierten Prüfungsansatz. Die Wesentlichkeit soll dabei helfen, Art und Umfang der Prüfungshandlungen festzulegen, die Höhe der tolerierbaren Fehler abzuschätzen und die Auswirkungen der festgestellten Fehldarstellungen zu beurteilen. Weder das Gesetz noch die Literatur äußert sich detailliert zur Berechnung der Wesentlichkeit, sodass es dem Abschlussprüfer obliegt, eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen. Besonders wichtig für den Prüfer ist es daher, sich ein Verständnis der Wesentlichkeit anzueignen und in Orientierung an die in der Literatur genannten Prozentsätze und Maßgrößen die Wesentlichkeit für jeden konkreten Einzelfall festzulegen.

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1) 
BERTL/FRÖHLICH, Der Ablauf von Jahresabschlussprüfungen, in: KOZIOL/DORALT (Hrsg), Abschlussprüfer – Haftung und Versicherung (2004) 5 f.